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Boomerang

Boomerang

Titel: Boomerang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lewis
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Wenn der Finanzstaatssekretär Asmussen an seiner Wand ein Schild hat, das ihn daran erinnert, den Standpunkt des anderen wahrzunehmen, dann meint er vielleicht genau das. Andere halten sich nicht an die Regeln der Deutschen. Andere lügen. In dieser betrügerischen Finanzwelt sind die Deutschen wie die Bewohner einer einsamen Insel, die nicht gegen die Krankheiten geimpft wurden, welche von Besuchern eingeschleppt werden. Sie haben den Händlern der Wall Street genauso vertraut wie den Franzosen, die versprachen, dass die Deutschen nie für die Schulden der anderen Europäer aufkommen müssten, und wie den Griechen, die versprachen, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Das ist zumindest eine Theorie. Die andere Theorie besagt, dass die Deutschen vertrauten, weil die Kosten eines Irrtums gegenüber den Gewinnen nicht ins Gewicht fielen. Für die Deutschen ist der Euro mehr als eine Währung: Er ist eine Möglichkeit, die Vergangenheit zu überwinden, und damit ein weiteres Holocaust-Denkmal. In Meinungsumfragen wettern die Deutschen heute zwar gegen die Griechen, aber es gibt stärkere Kräfte zugunsten der Griechen.
    Wie dem auch sei, wer einen Ordnungs- und Sauberkeitsfimmel hat und im Geheimen von Schmutz und Chaos fasziniert ist, der bekommt früher oder später Probleme. Sauberkeit ist ohne Schmutz nicht zu haben, genauso wenig wie Reinheit ohne Unreinheit. Das Interesse an dem einen schließt immer auch das Interesse an dem anderen mit ein.
    Charlotte, die mich durch Deutschland kutschiert hat, ist weder an dem einen noch an dem anderen interessiert, und es ist schwer zu sagen, ob sie eine Ausnahme ist oder die neue Regel. Trotzdem begleitet sie mich pflichtschuldig in den größten Rotlichtbezirk Europas und fragt in meinem Namen |190| schmierige Männer, wo ich Schlamm-Catcherinnen sehen kann. Unterwegs fallen ihr immer neue fäkale Redewendungen und Sprichwörter ein. »Scheiße glänzt nicht, wenn man sie poliert«, sagt sie, als wir am Funky Pussy Club vorbeikommen. »Scheißegal.«
    Auf der Reeperbahn brodelt das Leben. Zuhälter stehen vor Sexclubs und durchsuchen mit geschultem Blick die vorbeiströmende Menge nach möglichen Kunden. Stark geschminkte Frauen winken unschlüssigen Männern zu. Ein paarmal sehe ich Aufkleber von zwei Strichmännchen beim Analverkehr. Bei deren Anblick erinnert sich Charlotte an die Musiker der deutschen Band Rammstein, die nach einem Konzert in den Vereinigten Staaten verhaftet wurden, weil sie auf der Bühne zu dem Lied »Bück dich« Analverkehr simuliert hatten. Und immer wieder fragt sie schmierige Männer, wo denn Schlamm-Catchen geboten wird. Schließlich findet sie einen alten Mann, der schon seit Jahrzehnten auf der Reeperbahn arbeitet und ihr eine verbindliche Auskunft geben kann: »Der letzte Laden hat schon vor Jahren dichtgemacht«, antwortet er. »Er hat sich nicht rentiert.«

|191| Zu fett zum Fliegen
    A m 5. August 2011, nur Momente, nachdem die US-Regie rung hatte erleben müssen, wie zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine Rating-Agentur ihre Kreditwürdigkeit herabgestuft hatte, hob der Markt für U.S. Treasury Bonds zu einem wahren Höhenflug ab. Vier Tage später lag der Zinssatz, den die US-Regierung für ihre neu ausgegebenen Zehn-Jahres-Anleihen zahlen musste, bei 2,04 Prozent, auf dem niedrigsten je notierten Stand. Der Goldpreis stieg parallel zum Preis für US-Schatzanweisungen, doch die Preise praktisch aller Wertpapiere und Anleihen in den westlichen Industrieländern befanden sich im freien Fall. Eine der großen US-Rating-Agenturen hatte behauptet, die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Regierung ihre Schulden bezahlen könne, sei gesunken, was unter dem Strich zur Folge hatte, dass es für die US-Regierung billiger und für alle anderen teurer wurde, sich Geld zu leihen. Das sagte eine Menge darüber aus, was man über die Möglichkeiten der US-Regierung, über ihre Verhältnisse zu leben, wissen musste: Im Augenblick verfügte sie quasi über einen Blankoscheck. Je wackliger die Regierung der Vereinigten Staaten bis zu einem gewissen, in weiter Ferne liegenden Punkt zu sein schien, umso billiger würde sie sich Geld leihen können. Die USA waren noch nicht in den |192| Teufelskreis geraten, der die Finanzmärkte der europäischen Länder bedrohte: Ein Augenblick des Zweifelns zieht höhere Kreditkosten nach sich, was zu vermehrten Zweifeln und noch höheren Kreditkosten führt, und so weiter, bis man in der Haut der

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