Boomerang
Griechen steckt. Befürchtungen, die USA könnten das Geld, das sie sich geliehen hatten, nicht zurückzahlen, entbehrten immer noch der Realität.
Am 19. Dezember 2010 brachte das Fernsehnachrichtenmagazin
60 Minutes
einen dreizehnminütigen Beitrag über Staats- und Kommunalhaushalte in den USA. Der Moderator Steve Kroft führte ein Interview mit einer Wall-Street-Analystin namens Meredith Whitney, die 2007 aus dem Schatten ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit getreten war, als sie zutreffend vorausgesagt hatte, dass die Citigroup gezwungen sein würde, ihre Dividende zu kürzen, weil ihre Verluste im Subprime-Hypothekenmarkt viel größer waren als angenommen. In dem
60-Minutes -Beitrag
hieß es, dass Bundes- und Kommunalregierungen gemeinsam ein Jahresdefizit von etwa einer halben Billion Dollar zu bewältigen hätten, während eine Lücke von weiteren eineinhalb Billionen Dollar zwischen dem klaffte, was die Regierungen ihren Pensionären schuldeten, und dem Geld, das ihnen zur Verfügung stand, um sie zu bezahlen. Whitney wies darauf hin, dass selbst diese Zahlen nicht verlässlich und höchstwahrscheinlich optimistisch seien, da die Regierungen der Bundesstaaten nicht gerade verschwenderisch seien hinsichlich der Weitergabe von Informationen über ihre Finanzen an die Öffentlichkeit. Der Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, pflichtete ihr bei und fügte hinzu: »So, wie es ist, wo läge da der Unterschied, wenn es noch schlimmer wäre?« Die Summe, die alle US-Staaten zusammen ihren Pensionären und Rentnern schuldeten, war so groß, dass sie unmöglich bezahlt |193| werden konnte, gleichgültig, wie hoch der Betrag genau war. Am Ende des Beitrags richtete Kroft an Whitney die Frage, wie sie die Fähigkeit und die Bereitschaft der Staaten, ihre Schulden zurückzuzahlen, einschätze. In ihren Augen bestand nicht wirklich die Gefahr, dass die Bundesstaaten pleitegehen würden, weil diese die Möglichkeit hatten, ihre Probleme auf die Landkreise und Kommunen abzuwälzen. Sie hielt es jedoch für wahrscheinlich, dass es auf diesen niedrigeren Verwaltungsebenen, auf denen das amerikanische Leben gelebt wurde, zu ernsthaften Problemen kommen würde. »Es könnte fünfzig bis hundert substanzielle Pleiten geben, vielleicht sogar mehr«, sagte sie. Von Kroft gefragt, wann die Leute anfangen müssten, sich über die Finanzkrise der Städte Sorgen zu machen, antwortete sie: »Darüber wird man sich innerhalb der nächsten zwölf Monate Sorgen machen müssen.«
Ihre Worte erwiesen sich als sich selbst erfüllende Prophezeiung: Kaum hatte sie sie ausgesprochen, fingen die Leute an, sich über die städtischen Finanzen im Lande zu sorgen. Am nächsten Tag rutschten die Kurse für Kommunalanleihen in den Keller. Die Talfahrt setzte sich einen Monat lang fort. Es ging so tief bergab und Whitneys Prognose wurde so viel Beachtung geschenkt, dass sich Investmentmanager, die ihren Kunden zu Kommunalanleihen geraten hatten, genötigt sahen, mehr Leute einzustellen, die die finanzielle Situation der Bundesstaaten und der Städte analysieren und Whitney widerlegen sollten. (Einer von ihnen nannte es das »Meredith-Whitney-Vollbeschäftigungs-Gesetz für Kommunalanleihen-Analysten«.) In der Finanzwelt wurde ein neues Literaturgenre geboren, das eigens erfunden worden war, um Leser zu überzeugen, dass Whitney nicht wusste, wovon sie sprach. Sie war gegen diesen Vorwurf nicht gefeit: Bis zu dem Tag, an dem sie bei
60 Minutes
|194| aufgetreten war, hatte sie sich, soweit bekannt war, nie mit der Finanzsituation von US-amerikanischen Städten beschäftigt. Viele der gegen sie gerichteten Artikel warfen ihr vor, eine sehr konkrete Vorhersage gemacht zu haben – bis zu hundert Pleiten innerhalb eines Jahres! –, die sich nicht erfüllt hatte. (Ein Schlagzeilenbeispiel von Bloomberg News: MEREDITH WHITNEY VERLIERT GLAUBWÜRDIGKEIT MIT 60-PRO ZENTIGEM RÜCKGANG VON STÄDTISCHEN PLEITEN.) Der Sturm, den die kurze Marktpanik ausgelöst hatte, riss alle mit, die auch nur im Entferntesten etwas mit kommunalen Finanzen zu tun hatten. Sogar das unparteiische, unvoreingenommene und besonnene Center on Budget and Policy Priorities, eine Denkfabrik in Washington, D.C., veröffentlichte eine Erklärung, in der es hieß, es sei der »falsche Eindruck entstanden, dass drastische Sofortmaßnahmen ergriffen werden müssten, um einen bevorstehenden fiskalischen Zusammenbruch abzuwenden«. In Nachrichtenbeiträgen wurde dies als Reaktion
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