Bordeuax
in
gleichmäßigen Abständen an den Wänden befestigt -, hatte er etwas
Geisterhaftes an sich. Als wäre er auf ewig dazu verdammt, zwischen den Säulen
aus Holzkisten zu wandeln, an den Regalen entlang, in die Seitenkapellen, wo,
durch abschließbare Metallgatter geschützt, die kostbarsten Weine lagerten.
»Ich mache eine Wertbestimmung«,
sagte er. »Ich bin schon seit Tagen dabei, immer wieder mal. Aber bald ist es
geschafft.«
»Und wozu die Wertbestimmung?«,
fragte ich. Eine kalte Angst packte mich plötzlich. Francis wollte seinen Wein
doch nicht etwa verkaufen. Obwohl, ganz unwahrscheinlich war es nicht. Francis
war knapp bei Kasse, er hatte keine anderen ersichtlichen Einnah men außer denen durch sein Weingeschäft, und ich
konnte mir nicht vorstellen, dass er damit viel Geld verdiente. Es verirrte
sich fast nie jemand in den Laden. Nur sehr wenige wussten überhaupt von seiner
Existenz. Francis machte keine Werbung, verschickte keine Kataloge, es gab
nicht mal Listen mit den Weinen, die er im Angebot hatte. Einige treue
wohlhabende Freunde, Ed Simmonds, Teddy Shildon und andere, kauften ihm pro
Jahr ein paar Dutzend Kisten ab. Ich hatte in letzter Zeit auch damit
angefangen. Aber aus persönlicher Erfahrung wusste ich, dass es Francis im
Grunde verhasst war, seinen Wein verkaufen zu müssen. Er trank ihn gerne, in
Maßen, er redete gerne darüber, wenn er einen Zuhörer gefunden hatte, aber vor
allem hielt er sich gerne in seinem Weinkeller auf und sah sich seine Sammlung
an. Er ging gerne zwischen den Kistenstapeln umher, rief sich einzelne
Jahrgänge in Erinnerung, die vergessene Duftnote irgendeines edlen
Bordeauxtropfens, dessen Name und Jahrgang auf einer Seitenwand jeder Kiste in
eine Holzlatte eingebrannt war. Er nahm gerne eine Flasche aus einem der
Regale und las aus dem Etikett eine Geschichte heraus, die niemand sonst hätte
entziffern können. Früher hatte er, wie er mir mal erzählt hatte, die meisten
Weinberge und die Winzer, bei denen er Weine kaufte, persönlich aufgesucht;
jetzt mochte er sich erinnern an den festen Handschlag des einen Weinbauern
oder an den Keller eines anderen.
Das alles brachte weniger Geld ein,
rechnete ich mir aus, als selbst ein Francis zum Leben brauchte. Er wohnte in
einer spärlich eingerichteten Zweizimmerwohnung auf der Rückseite seines ehemaligen
Familienstammsitzes Caerlyon Hall. Er hatte nie Gäste, außer im Laden, wenn er
ein, zwei Flaschen Wein servierte, oder bei den gelegentlichen Abendessen für
ein paar ausgewählte Freunde in der Küche seiner Wohnung. Anscheinend kaufte
er auch nie neue Sachen für sich, obwohl er immer gut gekleidet war. Ich glaube,
er erhielt eine geringfügige Miete für den Rest von Caerlyon Hall, allerdings
hatte er mir auch mal gesagt, dass er das Haus dem Gemeindezentrum auf 99 Jahre
überlassen hatte, für praktisch nichts. Als Gegenleistung musste es die
Gemeinde instand halten.
Wenn er noch über andere
Einnahmequellen verfügte, dann kannte ich sie nicht.
»Komm mit nach oben. Ich möchte
etwas mit dir besprechen.« Wir verließen die Gruft und stiegen hinauf in den
Laden. Francis drehte das Schild »Geöffnet« an der Eingangstür um, so dass
jetzt von außen »Geschlossen« zu lesen war, und verriegelte die Tür. »So«,
sagte er, als hätte er gerade noch rechtzeitig vorbeiziehende Kundenströme an
der Erstürmung des Ladens gehindert. »Jetzt haben wir unsere Ruhe.«
Auf seinem alten Schreibtisch aus
Holz standen ein Dekantiergefäß mit Rotwein und Gläser. Er goss zwei Gläser
ein und gab mir eins. Ich probierte.
»Na?«, sagte Francis.
»Ein Margaux?«
»Sehr gut, Wilberforce. Wirklich,
sehr gut. Gleich beim ersten Versuch richtig. Würdest du dir auch zutrauen zu
sagen, was für ein Margaux?«
Ich schüttelte den Kopf. »So weit
bin ich noch nicht«, sagte ich.
»Aber du warst doch sehr nahe dran!
Es ist ein Château Lascombes. Darauf wäre nicht jeder gekommen. Du traust dir
zu wenig zu. Langsam entwickelst du dich zum Weinkenner. Erste Anzeichen sind
da. Jetzt sag mir noch, welcher Jahrgang.«
Das war schon leichter. Mir war
klar, dass Francis eine erstklassige Flasche geöffnet hatte; niemals hätte er
mich mit irgendeinem obskuren Jahrgang auf die Probe gestellt, bei dem der Wein
dünn und uninteressant ausgefallen wäre. Ich trank noch einen Schluck, der Wein
schmeckte rauchig und gleichzeitig blumig.
»1982?«, fragte ich.
»Wieder ein Volltreffer,
Wilberforce. Sehr gut. Es ist ein 82er,
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