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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Torday
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einer der letzten großen Weine, die in
den 80er Jahren in Lascombes hergestellt wurden.« Jetzt erst trank er selbst
einen Schluck und bedeutete mir, auf einem der Stühle neben seinem Schreibtisch
Platz zu nehmen. Er zog sich auch einen Stuhl heran und setzte sich mir
gegenüber.
    »Wozu hast du diese Wertbestimmung
gemacht?«, fragte ich ihn.
    Francis stellte sein Glas auf dem Schreibtisch
ab, legte die Fingerspitzen zusammen und sah mich an. »Weil ich wissen will,
wie viel der Wein wert ist.«
    »Du denkst doch nicht daran, ihn zu
verkaufen, oder?«
    »Genau das habe ich vor«, sagte
Francis. Er richtete seinen Blick stur auf mich und beobachtete meine Reaktion.
    Es durfte nicht schwer gewesen sein,
sie zu erkennen. Ich war entsetzt. »Aber ... Francis ... du kannst doch nicht
... du darfst nicht. Was willst du denn dann machen? Wo willst du wohnen?«
    Francis schüttelte den Kopf, als
wären die Fragen unerheblich. Dann sagte er: »Wie geht es deiner Firma,
Wilberforce?«
    »Sehr gut«, sagte ich. Francis hatte
sich in den vergangenen Monaten mehrmals nach meiner Firma erkundigt. Ich weiß
nicht, ob er wirklich verstand, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Die
Idee, dass man allein durch die Entwicklung von Softwareprogrammen ein
Vermögen machen konnte, faszinierte ihn.
    »Wie du weißt, war mein Urgroßvater
der Letzte in unserer Familie, der richtig viel Geld verdient hat«, sagte
Francis. »Dafür hat er jede Menge importierte Waliser angeheuert, die ihm die
Kohle aus der Erde schaufeln mussten. Wir hatten ein paar Kilometer südlich
von hier eine Kohlengrube, ein Tiefenflöz. Die Einzigen, die bereit waren, so
tief hinabzusteigen, waren die Männer aus den walisischen Tälern. Mein
Urgroßvater besaß die nötige Energie und Vorstellungskraft für den Aufbau so
eines Unternehmens, und er hat einen Haufen Geld damit gescheffelt. Später, als
er genug zusammenhatte, hat er sich eine Dampfjacht gekauft und ist um die Isle
of Wight herumgeschippert. Er saß an Deck und rauchte Zigarren.«
    Ich lachte. Francis war eine
Fundgrube an Anekdoten über eine glorreiche alte Zeit. Das Bild seines
Großvaters an Bord seiner Jacht, mit einer Decke über den Knien und einer Hoyo
im Mund, besaß für ihn mehr Wirklichkeit als die Vorstellung, mit Software Geld
zu verdienen. Ich glaube, Francis hat nie ganz begriffen, was mit »Software«
eigentlich gemeint ist.
    »Du bist ein kluger Mensch,
Wilberforce«, sagte Francis. »Du hast auch ein Vermögen gemacht, aber soweit
ich das beurteilen kann, entsteht das alles in deinem Kopf, wie bei einem
Komponisten oder Dramatiker.«
    »Ich bin nicht allein«, sagte ich.
»Heute arbeiten sehr viele talentierte Leute für uns.«
    »Schon möglich. Vermutlich sind sie
wegen dir zu euch gekommen. Du verdienst Geld, Wilberforce, und ich habe immer
welches ausgegeben. Das ist der Unterschied zwischen uns.«
    »Du hast eine umfangreiche
Weinsammlung aufgebaut«, sagte ich. »Das ist viel wert.«
    Francis stand auf; ich stand
ebenfalls auf und folgte ihm, wieder die Treppe hinunter in die Gruft. Er
schaltete das Licht an und schritt durch eine Allee aus Holzkisten zu einem
kleinen Platz in der Mitte, einer Stelle, von der aus - wie am Oxford Circus – strahlenförmig
andere Holzkistenalleen abgingen. Er blieb stehen und sagte: »Ja, ich habe
meinen Wein, aber was soll ich damit machen? Ich habe keine Kinder.« Er
breitete die Arme aus, um den Umfang seiner Sammlung anzudeuten; aufrecht und
hager stand er da, mitten in seinem Königreich. Die schwachen Glühlampen vermochten
die Düsternis des Kellers nicht zu vertreiben, und so erschien die Anzahl der
Kisten in dem schummrigen Licht unübersehbar. Nie konnte man richtig erkennen,
wie weit sie eigentlich reichten.
    »Aber du musst doch zufrieden sein,
mit dem, was du erreicht hast«, sagte ich. Francis Sammlung war vermutlich die
größte in ganz Europa, vielleicht weltweit. Jedenfalls hatte ich immer den
Eindruck, wenn ich in die Gruft hinunterstieg.
    Francis senkte die Arme. »Einen
großen Teil habe ich geerbt.« Das hatte er mir schon mal gesagt. »Leider habe
ich kein gutes Händchen bewiesen, das, was man mir hinterlassen hat, auch zu
bewahren. Nur das hier habe ich bewahrt.«
    »Auf jeden Fall ist es interessanter
und ich sehe es mir lieber an als jedes Computerprogramm«, sagte ich.
    Francis lachte, dann stiegen wir
wieder die Treppe hinauf in den Laden. Er setzte sich hin und sah mich an. »Du
solltest weniger arbeiten und

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