Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)
er mich einlud, wenn wir in schicken Eppendorfer Läden unterwegs waren oder wenn wir in der Pause chinesisch essen gingen. Ich war auch nicht neidisch auf sein Geld und gab das, was ich selbst hatte, genauso freudig mit ihm aus, was unser Verhältnis sehr entspannt hielt.
Fritz hatte das Herz am rechten Fleck und ein unglaubliches Gespür für Menschen. Wir konnten miteinander lachen. Laut und hemmungslos. Manchmal so hemmungslos, dass man uns aus den Kneipen rausschmiss. Wir konnten uns gut die Bälle zuwerfen, zusammen albern sein und Faxen machen. Wir hatten ein blindes Verständnis füreinander. Mit Fritz konnte man Pferde und Äpfel stehlen. So jemanden findet man nicht alle Tage. Wenn ich es mir recht überlege: So viel gelacht wie mit Fritz habe ich nie mehr in meinem Leben. Als Schüler störten wir häufig und ausgiebig den Unterricht. Einmal landeten wir beide vor dem Klassenraum auf dem Gang. Und weil unsere Kreativität für Blödsinn keine Grenzen kannte, kamen wir auf die Idee, unserem Mathelehrer Jahn eins auszuwischen. Der war so ’ne cholerische Type, die sich nie im Griff hatte und ständig herumschrie. Wir stellten also einen Stuhl vor die Tür, nachdem wir zweimal an die Tür geklopft hatten, denn wir wussten, dass er beim dritten Klopfen herausstürmen würde. Wir klopften also ein drittes Mal. Jahn kam heraus, wütend und aufgebracht wie ein angeschossener Bär. Er sah den Stuhl nicht und legte sich mit dem Gesicht auf den kalten, harten Boden. Wir hatten unseren Spaß. Er ist natürlich ausgeflippt. »Wenn ich euch kriege, dann seht ihr alt aus«, hallte seine Stimme durch den Gang. Da waren wir längst über alle Berge, beim Chinesen.
Der Spaß sollte nicht immer so harmlos bleiben. Mit meiner Gang hatte Fritz nichts zu schaffen. Es interessierte ihn nicht, sich irgendwelchen Regeln oder Hierarchien zu unterwerfen. Er lebte ja im schnöden Eppendorf, wo er die meiste Zeit verbrachte. Nur selten kam er aus seinem Viertel raus. Auf eine Art war er sehr offen, auf eine andere sehr introvertiert. Als Freund war er ’ne treue Seele. So treu, dass er sich anderen Freundschaften verschloss. Fritz war zwar kein Rassist, aber er hielt sich für was Besseres. Mit Türken und Jugos, die ja den Großteil der Breakers ausmachten, konnte er nichts anfangen.
Fritz und ich – das war eine richtige Männerfreundschaft. Wir hatten meist nur ein Thema: sich schlagen, sich prügeln wie richtige Männer – auf der Straße. Fritz wollte sich immer austesten. Wir stellten uns Mutproben, schlugen Scheiben ein, machten Leute an. Das Nichtzurückweichen trieb uns an. Zu Beginn war Fritz noch ein Schisser. »Das ist Michel«, hat er immer gesagt, wenn er mich irgendwem vorstellte, »der ist ein Schläger und mein Beschützer.« Ich war kein Schläger, aber es stimmte: Ich war sein Beschützer. Zumindest am Anfang unserer Freundschaft.
Wir wollten im Kampf noch härter werden, wir wollten Dinge erleben, in denen es um etwas ging, in denen man sich als Mann beweisen konnten. Voll auf die Fresse! Voll reinwichsen! Ich betrieb zwar wie ein Irrer Kampfsport, aber das reichte mir nicht. Ich lernte Kung-Fu. Dann wechselte ich zum Wun Hop Kuen Do, einem kombinierten Faustkampfstil, der von Al Dacascos kreiert wurde. Ich probierte alles aus. Aber wenn es auf der Straße Ärger gab, konnte ich mit meiner Kampfkunst nichts anfangen. Im Training kämpften wir ausschließlich mit Semikontakt. Das heißt: Man touchiert ganz leicht den Kopf und unterbricht den Kampf nach einem Treffer. Auf der Straße aber ging es genau an diesem Punkt erst richtig los. Und auf der Straße musstest du mehr können als ästhetisch und technisch saubere Bewegungen und Schlagkombinationen: schnell und hart schlagen, ausweichen, schnell auf überraschende Tritte und Schläge antworten. Es ging darum, sich selbst zu überwinden, keine Hemmungen zu haben und den Gegner mit einem einzigen Schlag ausknocken zu können. Zickzack! Das wollten alle können. Wir wollten ja harte Kerle sein. »Herz haben!«, nannten Fritz und ich das.
Es zeigte sich: Auf der Straße waren wir ein Paar, das sich ergänzte und das sich gegenseitig anheizen konnte. Wir waren schnell und gut darin, unsere Gegner weich zu kochen. Mit Beschimpfungen, Sprüchen, subtilen Verbalattacken. In Windeseile wurden wir Meister der psychologischen Kriegsführung. Aber was nützte das schon, wenn wir nicht in der Lage waren, das, mit dem wir drohten, auch wirklich umzusetzen? Seitdem
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