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Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition)

Titel: Bordsteinkönig: Meine wilde Jugend auf St. Pauli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Meyer zu Kueingdorf , Michel Ruge
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stützte Fritz, und wir verließen die Wache.
    »Scheiße, was ist mit dir passiert, Fritz?«
    Er röchelte und hustete. »Die haben mich in die Zelle gebracht, abgeschlossen. Dann kamen sie wieder. Einer richtete seine Waffe auf mich. ›Wir machen dich platt, wenn du dich wehrst!‹ Die schlugen mich in den Bauch und in die Eier. Wichser. Scheiße!«
    Ich war nicht schockiert über das, was Fritz erzählte. Die Davidwache war damals berüchtigt für solche Aktionen. Schade nur, dass Fritz’ Geburtstag so unschön endete.

    Ein paar Tage später lief ich mit Cem die Silbersackstraße entlang, als die Schmiere neben uns stoppte und uns filzte.
    »Was haben wir denn da?« Einer der Zivis hielt ein Plastiktütchen in der Hand. Sie hatten Speed und Marihuana bei Cem gefunden. Ich verdrehte die Augen. Cem schaute mich unschuldig an. Sie schubsten uns in einen Hauseingang, einer der Zivis stellte sich mit dem Rücken zu uns und checkte, ob die Aktion von Passanten beobachtet wurde. Die anderen zwei kümmerten sich ganz um uns. »Ach, das ist ja interessant. Drogen dabei. Dann schauen wir mal, was ihr noch so spazieren führt.«
    Wir wurden durchwühlt. Sie nahmen mein Portemonnaie, öffneten es und zogen die Geldscheine heraus. Dasselbe machten sie bei Cem.
    »Hey … was«, stammelte ich, als einer der Zivis mir mit seinem Gesicht ganz nahe kam.
    »Pass mal auf, du halber Hering. Kannst auch gern mitkommen, und wir machen ein schönes Protokoll. Dann schieb ich dir noch ’ne Ladung rein, so dassu den Tag niemals vergessen wirst, alles klar?« Was blieb mir anderes übrig?
    »Aye, aye, Kapitän!«
    Zufrieden steckte er seine Beute ein. »Macht zu, dass ihr Land gewinnt, Gesocks!« Cem bekam noch eine auf den Hinterkopf. Wir liefen am »Silbersack« vorbei in Richtung Reeperbahn.
    »Scheiße, Cem. Die haben uns echt beklaut! Alles weg.«
    »Is mir schon häufig passiert. Dafür wird man nicht angezeigt. Die haben mich sogar schon mal zu Hause besucht und alles mitgenommen, was sie brauchten.«
    Mir war schwindelig. Wer war gut? Wer war böse? Es schien keine klaren Grenzen mehr zu geben in St. Pauli. Jeder war ein bisschen von allem, solange es keinem wirklich weh tat.
    Ich musste mich abreagieren. Ich ging in einen Laden für Autozubehör und kaufte mir eine Zündkerze. Gerade so viel Geld hatten mir die Zivis gelassen. Draußen zerschlug ich die Zündkerze, um ein Auto zu knacken. Mit den kleinen Keramiksplittern konnte man Scheiben zum Zerspringen bringen, lautlos. Man musste nur die Splitter auf die Scheibe werfen. Ich ging in eine ruhige Nebenstraße und suchte mir einen Wagen aus. Als ich im Auto saß, kam ich ins Grübeln. War ich nicht längst Teil eines Systems, das ich verachtete? Ich stieg wieder aus und lief zur Herbertstraße.
    Sie musste raus. Diese Ohnmacht. Gegenüber dem System. Einem System, für das ich nur Gesocks war. Einem System, in dem ich zum untersten Teil der Halbwelt gehörte – die ganz unten stand. Scham und Wut erfüllten mich. Ich war ein Niemand. Meine Freunde waren Gesocks. Ich hatte kein Ziel, aber ich sprintete jeden Tag durch die Welt. Ich lief auf Hochtouren – wie ein Wahnsinniger. Der Sex mit den Nutten, den ich immer noch ab und an hatte, war kein Spaß. Ich arbeitete mich bei ihnen nur noch ab wie ein Tier.
    Ich spazierte durch die Herbertstraße und schaute mir die Fenster mit den Frauen dahinter an. Wunderschön waren sie. »Komm mal rüber, Kleiner«, riefen sie. Aber ich lief einfach weiter. Ganz plötzlich war sie wieder da, diese Wut.
    Ich bin also ein Niemand in dieser Welt, hämmerte es in meinem Kopf. Ein Niemand! Ein Niemand! Ich lief die Hafenstraße entlang. Ich hatte Lust, mich zu prügeln. Mich beweisen – mir und den anderen. Ich knirschte mit den Zähnen und kniff die Augen zusammen. Aber da war keiner, dem ich hätte beweisen können, dass ich kein Niemand war. Nur dieser glatzköpfige Kraftprotz, der seinen Kampfhund Gassi führte. Ich war wütend – aber nicht blöd oder lebensmüde. Immer weiter lief ich, inzwischen war ich auf der Talstraße. Vor einem Möbelladen blieb ich stehen und sah mir die Auslagen im Schaufenster an. Hier kauften die Luden ein für die spießigen Zimmer im Eros-Center: billiger Kram, geschmacklos, ohne Stil. Ich spuckte auf den Boden. Alles widerte mich an: diese Straße, St. Pauli, die Menschen. Ich widerte mich selbst an.
    Ich lief nach Hause und packte meine Sportsachen. Ich musste trainieren. Immer, wenn ich drauf und

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