Boris Pasternak
das Bahnhofsgebäude trug die Spuren eines
Brandes. Gleich hinter der Station befand sich eine menschenleere,
schneeverwehte Siedlung, die sichtlich das traurige Los des Bahnhofs geteilt
hatte.
Gleich das erste Holzhaus war
verkohlt, im nächsten Haus waren ein paar der Stämme nach innen gestürzt,
überall auf der Straße lagen Schlittentrümmer, umgekippte Zäune, rostiges
Blech, zerschlagener Hausrat. Der von Qualm und Ruß geschwärzte Schnee war
stellenweise von der Hitze weggeschmolzen, anderswo mit Spülwasser Übergossen
und vereist, darin waren verkohlte Holzstücke eingefroren - Spuren des Feuers
und seiner Löschung.
Die Siedlung und die Station
waren nicht ganz menschenleer. Da und dort waren einzelne lebende Seelen zu
sehen.
»Das ganze Dorf abgebrannt?«
fragte teilnahmsvoll der auf den Bahnsteig gesprungene Zugführer den
Bahnhofsvorsteher, der ihm aus der Ruine entgegenkam.
»Guten Tag. Gratuliere zur
Ankunft. Wir sind abgebrannt, aber es gibt Schlimmeres.«
»Versteh ich nicht.«
»Lieber nicht fragen.«
»Etwa Strelnikow?«
»Ja.«
»Habt ihr euch was zuschulden
kommen lassen?«
»Wir nicht. Die Strecke hat
damit nichts zu tun. Unsere Nachbarn. Wir haben es gleich mit abgekriegt. Sehen
Sie das Dorf da hinten? Das sind die Schuldigen. Das Dorf heißt Nishni Keimes
und gehört zum Landkreis Ust-Nemda. Wegen denen ist alles gekommen.«
»Was haben die gemacht?«
»Die haben fast alle sieben
Todsünden begangen. Sie haben bei sich das Komitee der Dorfarmut
auseinandergejagt, dies zum ersten; dann haben sie sich dem Dekret über die
Lieferung von Pferden an die Rote Armee widersetzt, aber ihr müßt bedenken, da
leben Tataren, Pferdenarren, das wäre Nummer zwei; und drittens, sie haben den
Mobilisierungsbefehl nicht befolgt, und nun sehen Sie.«
»Soso. Dann ist alles klar.
Und dafür hat's Artilleriefeuer gegeben?«
»Genau.«
»Vom Panzerzug?«
»Natürlich.«
»Betrüblich. Bedauernswert.
Aber davon verstehen wir nichts.«
»Außerdem Schnee von gestern.
Und mit dem heutigen kann ich Ihnen auch keine Freude machen. Sie werden wohl
ein paar Tage hier stehenbleiben.«
»Lassen Sie die Scherze. Ich
habe nicht irgendwelche Leute im Zug, sondern Verstärkung für die Front. Ich
bin es nicht gewöhnt, lange zu stehen.«
»Von wegen Scherze. Die
Strecke ist verweht, Sie sehen's ja selber. Auf dem ganzen Abschnitt hat eine
Woche lang ein Schneesturm getobt. Alles zugeschneit. Und keine Leute zum
Freischaufeln. Das halbe Dorf ist geflohen. Ich könnte den Rest der Leute dazu
einsetzen, aber die schaffen es nicht.«
»Ach, der Teufel soll euch
holen! So ein Mist! Was machen wir jetzt?«
»Wir werden die Strecke
irgendwie säubern, dann können Sie weiterfahren.«
»Sind es große Verwehungen?«
»Nicht unbedingt,
streckenweise. Der Schneesturm ist in schrägem Winkel zum Bahndamm gekommen. Am
schlimmsten ist es im Mittelabschnitt. Drei Kilometer müssen freigeschippt
werden. Da werden wir uns abquälen müssen. Die Stelle ist total zu. Ein Stück
weiter geht es, da ist Taiga, der Wald hat die Gleise geschützt. Auch vor der
verschütteten Stelle ist es nicht schlimm, da ist die Gegend offen, der Wind
hat alles weggeweht.«
»Ach, geht doch zum Teufel.
Das ist ja eine Heimsuchung! Ich bringe den Zug auf die Beine, die Leute
sollen helfen.«
»Daran habe ich auch schon
gedacht.«
»Nur die Matrosen und die
Rotgardisten müssen wir in Ruhe lassen. Wir haben eine Menge Leute von der
Arbeitsarmee. Zusammen mit den freien Passagieren werden das siebenhundert Mann
sein.«
»Das ist mehr als genug. Wenn
die Schaufeln gebracht werden, müssen die Leute mitmachen. Wir haben nicht genug
Schaufeln. Aus den Nachbardörfern kriegen wir noch welche.«
»Mein Gott, so ein Pech!
Meinen Sie, wir schaffen's?«
»Na klar. Viele Hände machen
der Arbeit schnell ein Ende, wie man so sagt. Dies ist eine Bahnstrecke. Eine
Lebensader. Ich bitte Sie.«
Die Säuberung der Strecke
dauerte drei Tage und Nächte. Die Familie Shiwago einschließlich Njuscha nahm
tätigen Anteil. Es war für sie die schönste Zeit der Reise.
Die Gegend hatte etwas
Unzugängliches, Unausgesprochenes. Sie erinnerte an Puschkins Darstellung des
Pugatschow-Aufstandes und an das Asiatische in den Schilderungen von Aksakow.
Daß alles hier so
geheimnisvoll wirkte, lag auch an den Zerstörungen und an der Verschlossenheit
der wenigen gebliebenen Einwohner, die verängstigt waren, den Reisenden aus dem
Weg gingen und auch
Weitere Kostenlose Bücher