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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Das hieß etwa: Warte, alles regelt sich von selbst, bleib ruhig.
     
    Als sie die mittelrussische
Zone verließen und weiter nach Osten fuhren, hagelte es Überraschungen. Sie
durchquerten unruhige Gegenden, Gebiete, wo bewaffnete Banden ihr Unwesen
trieben, Landstriche, in denen erst unlängst Aufstände niedergeschlagen worden
waren.
    Immer öfter hielt der Zug auf
freiem Feld, Kontrollabteilungen gingen durch den Zug, untersuchten Gepäck,
prüften Personalien.
    Einmal blieb der Zug mitten in
der Nacht stehen. Niemand kam, um die Reisenden zu wecken. Doktor Shiwago,
neugierig, ob es vielleicht ein Unglück gegeben habe, sprang aus dem Waggon.
    Es war eine dunkle Nacht. Der
Zug hielt ohne erkennbaren Grund auf freiem Feld inmitten eines spärlichen
Tannenwaldes. Die schon vorher ausgestiegenen Mitreisenden traten von einem
Bein aufs andere und erzählten dem Arzt, ihres Wissens sei nichts passiert,
sondern der Lokführer habe den Zug von sich aus angehalten, unter dem Vorwand,
die Gegend sei gefährlich, und ehe er nicht die Sicherheit der Gleise mit einer
Draisine geprüft habe, lehne er es ab, den Zug weiter zu fahren. Vertreter der
Reisenden seien zu ihm gegangen, um ihn zur Weiterfahrt zu überreden und ihn
notfalls zu schmieren. Es hieß, die Matrosen hätten sich eingemischt. Die
würden es schon schaffen.
    Während die Reisenden Doktor
Shiwago dies erzählten, erstrahlte die Schneefläche am Bahndamm vor der
Lokomotive im Widerschein der Flammen aus dem Schornstein und aus dem
Aschkasten unter der Feuerung. Eine Flammenzunge beleuchtete ein Stück des
Schneefeldes und ließ die Lokomotive und ein paar auf ihr laufende schwarze
Gestalten erkennen.
    Vornweg lief offenbar der
Lokführer. Nachdem er das Ende des Gangblechs erreicht hatte, sprang er hoch,
setzte über den Pufferklotz hinweg und verschwand. Die ihn verfolgenden
Matrosen machten es ihm nach. Sie liefen ebenfalls zum Ende des Rosts, sprangen
hoch und verschwanden, wie in die Erde hinein.
    Doktor Shiwago, der das alles
mit angesehen hatte, ging mit ein paar Neugierigen nach vorn zur Lokomotive.
    Auf der freien Strecke vor dem
Zug bot sich ihnen folgendes Bild. Seitlich am Bahndamm ragte der Lokführer mit
dem Oberkörper aus dem unberührten Schnee. Wie die Treiber bei der Jagd ein
Tier, so umstanden ihn im Halbkreis, ebenfalls bis zum Gürtel im Schnee, die
Matrosen.
    Der Lokführer schrie: »Ich
danke euch, ihr Sturmvögel! Daß ich das noch erlebe! Mit dem Revolver gegen den
eigenen Bruder, einen Arbeiter! Warum sag ich denn, der Zug kann nicht weiter?
Genossen Passagiere, ihr seid Zeugen, was sie hier mit mir machen. Jeder, der
will, geht zu den Gleisen und dreht Muttern raus. Wovon red ich denn, ihr
verdammten Armleuchter? Ein Eisenrohr soll euch unter die Rippen fahren! Es
geht mir ja nicht um mich, sondern um euch, damit euch nichts geschieht. Und
das ist nun der Dank. Na los, schießt doch, ihr Minenräumer! Genossen
Passagiere, ihr seid Zeugen, hier bin ich, ich verstecke mich nicht.«
    Unter den Reisenden auf dem
Bahndamm erhoben sich verschiedene Stimmen. Die einen riefen fassungslos: »Was
redest du? Besinn dich... Ist ja nichts passiert... Das lassen wir nicht zu.
Die sagen das bloß so ... um dich einzuschüchtern... «
    Andere hetzten laut: »Richtig,
gib's ihnen, du Halunke! Laß dir nichts gefallen, Dampfmacher!«
    Ein Matrose, der sich als
erster aus dem Schnee befreite, ein rothaariger Riese mit so gewaltigem
Schädel, daß das Gesicht flach erschien, drehte sich gelassen zu den Reisenden
um und sagte in leisem Baß, mit vielen Ukrainismen wie der Soldat Woronjuk, ein
paar ganz ruhige Worte, die in der ungewöhnlichen nächtlichen Situation drollig
klangen: »Entschuldigung, was ist das für ein Krach? Erkälten Sie sich nicht im
Wind, Bürger. Marsch, aus der Kälte in die Waggons!«
    Die Reisenden zerstreuten sich
und gingen zu ihren Waggons, der rothaarige Matrose aber näherte sich dem
Lokführer, der noch nicht wieder bei sich war, und sagte: »Laß die Hysterie,
Genosse Lokführer. Komm raus aus der Grube. Wir fahren weiter.«
     
    Am nächsten Tag fuhr der Zug
langsam und hielt immer wieder, um nicht auf den schneeverwehten und nicht freigeschippten
Schienen zu entgleisen. Auf einer von Gott und der Welt verlassenen öden Stelle
stoppte der Zug, und es war nicht gleich zu erkennen, daß da die Reste einer
niedergebrannten Station lagen. Auf der verräucherten Fassade war noch der Name
Nishni Keimes zu erkennen. Nicht nur

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