Boris Pasternak
miteinander keinen Umgang pflegten aus Furcht vor
Denunziationen.
Die Leute wurden gruppenweise
zur Arbeit geführt, nicht alle zusammen. Das Arbeitsgelände wurde von Soldaten
bewacht.
Das Freischaufeln erfolgte
gleichzeitig von vorn und von hinten, und auch in der Mitte wurden an
verschiedenen Stellen Brigaden eingesetzt. Zwischen den freigelegten
Abschnitten blieben bis zum Schluß Berge unberührten Schnees liegen, die die
einzelnen Gruppen voneinander trennten. Sie wurden erst im letzten Moment
weggeräumt, als die Strecke in ihrer ganzen Länge frei war.
Es waren klare Frosttage. Die
Reisenden verbrachten sie in der frischen Luft und kehrten nur zur Nacht in
ihre Waggons zurück. Es wurde in kurzen Schichten gearbeitet, die die Leute
nicht ermüdeten, denn es gab zu wenig Schaufeln und zu viele Arbeitswillige.
Die Arbeit war das reinste Vergnügen.
Da, wo die Shiwagos
schaufelten, war das Gelände offen und malerisch. Nach Osten hin senkte sich
die Landschaft und bildete weithin eine wellige Hügelkette bis zum Horizont.
Auf einer Anhöhe stand ein
einzelnes Haus, von allen Seiten zu sehen. Es war von einem Garten umgeben,
dessen Laub es im Sommer sicherlich verbarg, während das bereifte Astwerk es
jetzt nicht vor Blicken schützte.
Die Schneedecke machte alles
glatt und rund. Aber nach den Unebenheiten der Senke zu urteilen, die von den
Verwehungen nicht vollends zugedeckt war, stürzte im Frühjahr wohl ein
reißender Bach durch die gewundene Mulde hinunter in das Rohr des Viadukts
unter dem Bahndamm, die jetzt unter hohem Schnee begraben lag, so wie ein bis
an den Kopf zugedecktes Kind unter dem Daunenberg des Kissens liegt.
Lebte noch jemand in dem Haus,
oder stand es leer und zerfiel, weil es vielleicht vom Agrarkomitee des Kreises
oder Landkreises beschlagnahmt worden war? Wo waren die früheren Bewohner, und
was war mit ihnen geschehen? Waren sie ins Ausland geflohen? Oder hatten die
Bauern sie umgebracht? Oder waren sie vielleicht aufgrund ihres guten Rufs als
gebildete Spezialisten in der Kreisstadt untergekommen? Hatte Strelnikow sie
verschont, wenn sie noch hier gewesen waren, oder hatte er mit ihnen
abgerechnet wie mit den Kulaken?
Das Haus auf seiner Anhöhe
reizte die Neugier, doch es verharrte in traurigem Schweigen. Aber damals stellte
man keine Fragen, die ohnehin niemand beantwortete. Die Sonne entzündete auf
der Schneefläche ein derartiges Gleißen, daß man hätte erblinden können. Was
für regelmäßige Stücke die Schaufel aus ihr herausschnitt! Was für trockene
Brillantfunken die Schnittstellen versprühten! Wie das alles an die fernen Tage
der Kindheit erinnerte, in der der kleine Jura, einen mit Tressen besetzten
hellen Baschlyk auf dem Kopf, in einem Mäntelchen aus schwarzgeringeltem
Schaffell mit fest angenähtem Schließhaken, auf dem Hofaus ebenso gleißendem
Schnee Kuben und Pyramiden, Sahnetorten und Festungen und Höhlenstädte
errichtete. Ach, wie schön war damals das Leben, alles war Augenschmaus und
Göttermahl! Aber auch diese drei Tage an der frischen Luft hinterließen den Eindruck
von Sattheit. Nicht ohne Grund. Die Arbeitenden erhielten abends
frischgebackenes warmes Brot aus gesiebtem Mehl, das von irgendwo
herangeschafft wurde. Die Laibe waren glasiert, hatten eine längs der Seite
geplatzte leckere Kruste und eine dicke, prächtig durchgebackene untere Rinde,
an der Holzkohlenstückchen hafteten.
Die
Reisenden gewannen die Bahnhofsruine lieb, so wie man eine kurzfristige
Unterkunft während eines Ausflugs in die Schneeberge liebgewinnt. Sie prägten
sich die Lage des Gebäudes, den äußeren Anblick und die Beschädigungen ein.
Abends bei
Sonnenuntergang kehrten sie auf die Station zurück. Die Sonne ging gleichsam
aus Treue zur Vergangenheit noch immer an der früheren Stelle unter, nämlich
hinter der alten Birke vor dem Fenster des Telegrafisten.
Die
Außenwand war an dieser Stelle nach innen eingestürzt. Nur die hintere Ecke
des Raums gegenüber dem heilgebliebenen Fenster war frei, dort war alles
erhalten: die kaffeebraune Tapete, der Kachelofen, das runde Abzugsloch mit
dem Messingdeckel am Kettchen, das schwarzgerahmte Inventarverzeichnis an der
Wand.
Wenn die
Sonne die Erde erreicht hatte, berührte sie wie vor dem Unglück die
Ofenkacheln, entzündete auf den Tapeten braunes Licht und hängte den Schatten
der Birkenzweige an die Wand wie einen Frauenschal.
In einem
anderen Teil des Gebäudes gab es eine zugenagelte Tür mit einer
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