Boris Pasternak
gutgegangen ist«, sagte Tonja. »Übrigens, das
glückliche Ende war für uns nicht neu.«
»Warum
nicht?«
»Wir haben
alles gewußt.«
»Woher?«
»Die
Posten haben's uns erzählt. Wie hätten wir sonst die Ungewißheit ertragen
sollen? Vater und ich sind fast verrückt geworden. Da, er schläft, du kriegst ihn
nicht wach. Wie eine Garbe ist er umgesunken von der Aufregung, und jetzt wird
er nicht munter. Wir haben neue Mitreisende. Mit einigen mache ich dich gleich
bekannt. Aber erst hör, was alle sagen. Der ganze Waggon beglückwünscht dich
zur glücklichen Freilassung. Da, das ist mein Mann!« sagte sie plötzlich,
wandte den Kopf und stellte ihren Mann einem neu zugestiegenen Fahrgast vor,
der, von seinen Nachbarn eingequetscht, im Hintergrund des Waggons stand.
»Samdewjatow«,
kam es von dort, ein weicher Hut wurde über die fremden Köpfe gehoben, und der
Träger dieses Namens drängte sich zu dem Arzt durch.
Samdewjatow,
dachte Juri Shiwago. Unter dem Namen hätte ich mir etwas Altrussisches
vorgestellt, wie aus einer Byline - Vollbart, Mantel, Gürtel mit Metallbeschlägen.
Der hier sieht eher aus wie einer von der Gesellschaft der Kunstfreunde -
angegraute Locken, Schnurrbart und Spitzbart.
»Na, hat
Ihnen Strelnikow Angst gemacht? Geben Sie's zu.«
»Nein,
warum denn? Wir hatten ein ernstes Gespräch. Jedenfalls ist er ein starker,
bedeutender Mann.«
»Und ob.
Ich habe eine Vorstellung von dieser Persönlichkeit. Er stammt wie Sie aus
Moskau. Genau wie all die letzten Neuerungen, die sind auch aus der Hauptstadt
hierhergebracht worden. Mit unserm Verstand wären wir nie auf so was gekommen.«
»Das ist
Anfim Jefimowitsch Samdewjatow, Jura, ein Alleswisser und Alleskenner. Er hat
schon von dir gehört, auch von deinem Vater, er kennt meinen Großvater, alle,
alle. Macht euch bekannt.« Tonja fragte beiläufig und ausdruckslos: »Sie kennen
bestimmt auch die hiesige Lehrerin Lara Antipowa?« Worauf Samdewjatow ebenso
ausdruckslos antwortete: »Was wollen Sie denn von Frau Antipowa?« Shiwago
mischte sich nicht ins Gespräch. Tonja fuhr fort: »Anfim Jefimowitsch ist
Bolschewik. Nimm dich in acht, Jura, halte bei ihm die Ohren steif.«
»Nein,
wirklich? Das hätte ich nie gedacht. Dem Aussehen nach hätte ich eher auf
etwas Künstlerisches getippt.«
»Mein
Vater hatte einen Ausspannhof. Sieben Troikas hat er gehalten. Aber ich habe
studiert. Eigentlich bin ich Sozialdemokrat.«
»Hör zu,
Jura, was Anfim Jefimowitsch sagt. Übrigens, es ist nicht bös gemeint, an Ihrem
Namen kann man sich die Zunge zerbrechen. Ja, hör zu, Jura, wir haben
unheimliches Glück gehabt. Die Stadt Jurjatin nimmt uns nicht auf. Dort sind
Brände, und die Brücke ist gesprengt, wir kommen nicht durch. Der Zug muß einen
Umweg fahren, über ein Verbindungsgleis zu einer anderen Strecke, und das ist
genau die, die wir brauchen, denn an ihr liegt Torfjanaja. Denk dir nur! Wir
brauchen nicht umzusteigen und die Sachen von einem Bahnhof zum andern durch
die Stadt zu schleppen. Dafür wird es uns tüchtig durchrütteln, wenn wir
endlich weiterfahren. Das Rangieren wird lange dauern. Das hat mir alles Anfim
Jefimowitsch erklärt.«
Tonjas Voraussagen
trafen ein. Von dem Zug wurden Waggons ab- und neue angekoppelt, dabei wurde
endlos auf den verstopften Gleisen rangiert, auf denen sich auch andere Züge
bewegten, die lange die Ausfahrt versperrten.
Die Stadt
verlor sich zur Hälfte in der Ferne, verdeckt durch die hügelige Landschaft.
Nur ab und zu zeigten sich über dem Horizont Hausdächer, Fabrikschlote, die
Kreuze von Glockentürmen. Eine der Vorstädte brannte. Der Wind zertrieb den
Rauch, der sich wie eine wehende Mähne über den ganzen Himmel zog.
Der Arzt
und Samdewjatow saßen auf dem Boden des Waggons und ließen die Beine nach
draußen hängen. Samdewjatow erklärte ständig etwas und wies mit der Hand in die
Ferne. Manchmal übertönte das Poltern des rollenden Waggons seine Worte, so daß
nichts zu verstehen war. Dann mußte Shiwago rückfragen. Samdewjatow näherte
ihm sein Gesicht und wiederholte laut das Gesagte.
»Da, sie
haben das Kino >Gigant< angezündet. Darin hatten sich die Junker
festgesetzt. Aber die hatten sich schon vorher ergeben. Überhaupt, die Kämpfe
sind noch nicht zu Ende. Sehen Sie die schwarzen Punkte auf dem Glockenturm?
Das sind unsere, sie holen die Tschechen herunter.«
»Ich sehe
nichts. Wie können Sie das nur erkennen?«
»Da brennt
Chochriki, die Handwerkervorstadt.
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