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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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selbst der Teufel ein Bein.
    Trotzdem,
mit unserer dörflichen Verwandtschaft ist es anders. Da sind die Selitwins, die
Schelaburins, Pamfil Palych, die Brüder Nestor und Pankrat Modych. Sie verlassen
sich auf sich selbst, richten sich nach ihrem eigenen Kopf, sind Hausherren.
Die Höfe längs der großen Straße sind neu, eine Augenweide. Fünfzehn Deßjatinen
Ackerland hat jeder, dazu Pferde, Schafe, Kühe, Schweine. Der Getreidevorrat
reicht für drei Jahre. Die Gerätschaften sind eine Pracht. Erntemaschinen. Um
sie bemüht sich Koltschak, er möchte sie auf seine Seite ziehen, und die
Kommissare wollen sie für die Waldarmee gewinnen. Aus dem Krieg kamen sie mit
Georgskreuzen behängt, und sie wurden sofort alle als Instrukteure genommen. Ob
sie Schulterklappen trugen oder nicht. Bist du ein Mensch mit Kenntnissen, so
wirst du immer gebraucht. Da gehst du nicht unter.
    Aber nun
mußte sie nach Hause. Es schickte sich einfach nicht für eine Frau, so lange
spazierenzugehen. Im Garten, das ginge noch an, aber der war aufgeweicht, man
blieb im Schlamm stecken. Sie fühlte sich ein bißchen besser.
    Als sie
sich in ihren Grübeleien gänzlich verheddert und den Faden verloren hatte, ging
sie nach Hause. Bevor sie jedoch die Schwelle überschritt, stand sie noch ein
Weilchen bei der Vortreppe, trat von einem Fuß auf den andern und versank in
Gedanken.
    Sie dachte
an die jetzigen Führer in Chodatskoje, von denen sie eine recht gute
Vorstellung hatte, an die politisch Verbannten aus der Hauptstadt, Tiwersin,
Antipow, den Anarchisten Wdowitschenko, genannt Schwarze Fahne, den hiesigen
Schlosser Gorshenja den Rasenden. Das sind alles Leute, die ihren Kopf für sich
haben. Sie haben in ihrem Leben schon viel umgekrempelt und bereiten sicherlich
wieder was vor. Ohne das geht es nicht bei ihnen. Sie haben ihr Leben an
Maschinen verbracht und sind selber kalt und erbarmungslos wie Maschinen. Sie
tragen über dem Unterhemd kurze Jacken, rauchen Zigaretten in beinernen Spitzen
und trinken, um sich keine Krankheit zu holen, abgekochtes Wasser. Wlassuschka
wird keinen Erfolg haben, diese Männer werden alles auf ihre Weise umwälzen,
sie setzen ihrs durch.
    Sie dachte
auch an sich. Sie wußte, daß sie eine prachtvolle, selbständige Frau war, gut
beieinander, gescheit und kein schlechter Mensch. Keine dieser Eigenschaften
hatte in diesem Krähwinkel oder sonstwo Anerkennung gefunden. Und die
unanständigen kleinen Liedchen über die dumme Sentetjuricha, die in ganz
Transuralien bekannt waren und von denen man nur die Anfangszeilen zitieren
konnte.
     
    Sentetjuricha
verkaufte ihren Wagen wollte eine Balalaika haben, weil dann Zoten folgten,
wurden in Krestowosdwishensk, wie sie argwöhnte, mit Anspielung auf sie
gesungen.
    Bitterlich
seufzend trat sie ins Haus.
    Ohne sich
in der Diele aufzuhalten, ging sie im Fellmantel in ihr Schlafzimmer, dessen
Fenster in den Garten blickten. Jetzt in der Nacht schienen die aufgetürmten
Schatten im Zimmer und draußen vor dem Fenster einander zu wiederholen. Die
bauschig drapierten Gardinen ähnelten den sackartigen kahlen schwarzen Bäumen
im Hof mit ihren verwaschenen Konturen. Die taftige nächtliche Finsternis des
ausgehenden Winters im Garten wurde gewärmt von der aus der Erde dringenden
schwarzlila Glut des nahenden Frühlings. Im Zimmer gab es eine ähnliche
Verknüpfung zweier Dinge, denn die staubige Stickigkeit der schlecht
ausgeklopften Vorhänge wurde gemildert und aufgefrischt von der dunkelvioletten
Glut des bevorstehenden Festes.
    Die
Gottesmutter auf der Ikone streckte die nach oben gekehrten schmalen, dunklen
Hände aus der silbernen Kutte des Beschlags. Es war, als hielte sie in jeder
Hand den griechischen Anfangs- und Endbuchstaben ihres byzantinischen Namens:
Meter Theou, Mutter Gottes. Die in eine goldene Unterschale gestellte ewige
Lampe aus Granatglas, dunkel wie ein Tintenfaß, warf ein gestirnartig
zersplittertes Flimmern auf den Teppich.
    Frau
Galusina legte Tuch und Fellmantel ab. Bei einer ungeschickten Bewegung spürte
sie wieder das Stechen in der Seite und den Druck unterm Schulterblatt. Sie
schrie erschrocken auf, stammelte: »Du große Beschützerin aller Traurigen, du
reine Gottesmutter, du schnelle Helferin, du Beschirmerin der Welt«, und brach
in Tränen aus. Als der Schmerz nachließ, begann sie sich auszuziehen. Die
hinteren Haken am Kragen und auf dem Rücken des Mieders entglitten ihren Händen
und verhakten sich in den Falten des grauen Stoffes.

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