Boris Pasternak
letzten
Russisch-Türkischen, zumindest aber des Russisch-Japanischen Krieges, ein ewig
von seinen Phantastereien in Anspruch genommener Träumer.
Seine
grenzenlose Gutmütigkeit und sein riesenhafter Wuchs hinderten ihn, kleinere,,
geringere Erscheinungen wahrzunehmen, und bewirkten, daß er dem Geschehen
ungenügend Aufmerksamkeit entgegenbrachte, alles falsch verstand,
entgegengesetzte Meinungen für seine eigenen hielt und allem beipflichtete.
Neben ihm
saß auf dem Fußboden sein Bekannter, der Waldjäger und Tierfänger Swirid.
Obwohl er kein Bauer war, blickte seine erdgebundene, bäurische Herkunft durch
den Ausschnitt seines dunklen Tuchhemdes, das er mitsamt dem Kreuzchen am Hals
klumpig zusammenraffte, um sich damit die Brust zu scheuern. Er war ein
Halbburjate, ein herzensguter Analphabet mit dünnsträhnigen Haaren, spärlichem
Schnurrbart und noch spärlicherem Kinnbart, der nur aus wenigen Fäden bestand.
Der mongolische Einschlag ließ sein Gesicht älter erscheinen, zumal es ständig
von einem mitfühlenden Lächeln gefältelt wurde.
Der
Referent, der Sibirien mit militärischen Instruktionen des Zentralkomitees
bereiste, weilte mit seinen Gedanken in den weiten Räumen, die er noch
erfassen mußte. Die meisten Anwesenden hier waren ihm gleichgültig. Aber als
Revolutionär und Volksfreund von Kindesbeinen an blickte er vergötternd auf
den vor ihm sitzenden jungen Feldherrn. Nicht nur verzieh er ihm sämtliche
Grobheiten, die er, der Ältere, als Stimme des ursprünglichen, tief
verwurzelten revolutionären Geistes empfand, nein, er nahm sie mit Entzücken
auf, die dreisten Ausfälle, so wie eine verliebte Frau die freche
Hemdsärmeligkeit ihres Gebieters leiden mag.
Der
Partisanenführer war Mikulizyns Sohn Liweri, der Referent aus dem Zentrum war
der ehemalige werktätige Genossenschafter Kostojed vom Amur, der früher zu den
Sozialrevolutionären gehört hatte. In letzter Zeit hatte er seine Positionen
überdacht, die Fehlerhaftigkeit seiner Plattform eingestanden, in mehreren
ausführlichen Erklärungen Reue bekundet und war nicht nur in die Kommunistische
Partei aufgenommen, sondern bald darauf schon mit solch verantwortungsvoller
Arbeit betraut worden.
Diese
Arbeit hatte man ihm, dem gänzlich unmilitärischen Menschen, übertragen aus
Achtung vor seinem revolutionären Dienstalter, vor seinen Leidenszeiten im
Gefängnis, aber auch aus der Erwägung, der ehemalige Genossenschafter müsse die
Stimmungen der Bauernmassen in dem vom Aufstand erfaßten Westsibirien gut
kennen. Diese vermutete Kenntnis war hier wichtiger als militärisches Wissen.
Der
Wechsel seiner politischen Überzeugungen hatte Kostojed bis zur Unkenntlichkeit
verändert. Das galt für sein Aussehen, seine Bewegungen, seine Manieren. Niemand
konnte sich erinnern, daß er früher kahlköpfig und bärtig gewesen war. Aber
vielleicht hatte er einen falschen Bart getragen? Die Partei hatte ihm
strengste Tarnung zur Pflicht gemacht. Seine Decknamen waren Berendej und
Genosse Lidotschka.
Als sich
der Lärm nach Wdowitschenkos voreiliger Erklärung, er sei mit den verlesenen
Punkten der Instruktion einverstanden, gelegt hatte, sprach Kostojed weiter:
»Um die anwachsende Bewegung der Bauernmassen voll in die Hand zu bekommen, ist
es erforderlich, unverzüglich Verbindung mit allen Partisanenabteilungen im
Bereich des Gouvernementsparteikomitees aufzunehmen.«
Ferner
äußerte er sich über die Einführung von konspirativen Treffs, Parolen,
Chiffren und Verbindungsmethoden. Dann kam er wieder auf Einzelheiten zu
sprechen: »Den Abteilungen muß gesagt werden, an welchen Punkten die weißen
Institutionen und Organisationen Vorratslager mit Waffen, Ausrüstung und
Verpflegung unterhalten, wo große Geldmittel aufbewahrt werden und nach
welchem System sie gesichert sind.
Detailliert,
mit allen Einzelheiten, müssen Fragen geklärt werden wie der innere Aufbau der
Abteilungen, die Vorgesetzten, die militärische und kameradschaftliche
Disziplin, die Konspiration, die Verbindungen der Abteilungen mit der
Außenwelt, das Verhältnis zur örtlichen Bevölkerung, die
militärisch-revolutionären Feldgerichte, die Taktik der Unterminierungsarbeit
auf dem Territorium des Gegners, als da sind Zerstörung der Brücken, der
Eisenbahnstrecken, der Dampfer, Barken, Stationen, Werkstätten mitsamt ihrer
technischen Ausrüstung, des Telegrafen, der Bergwerke und der
Lebensmittelvorräte.«
Liweri
litt und litt und hielt es nicht mehr aus. All
Weitere Kostenlose Bücher