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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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verbüßt hatten, kamen als
Meister hierher, wurden seßhaft.
    Entlang
dieser ganzen Linie waren die ursprünglichen Sowjets längst gestürzt worden.
Eine Zeitlang hatte sich die Macht der Provisorischen Regierung Sibiriens gehalten,
doch sie war jetzt in der gesamten Region durch die Macht des Obersten Regenten
Koltschak abgelöst worden.
     
    An einer
Stelle führte die Straße lange bergan. Der Ausblick in die Ferne weitete sich
immer mehr. Der Anstieg schien kein Ende zu nehmen. Als die Pferde und die
Menschen müde waren und stehenblieben, um Atem zu schöpfen, hörte die Steigung
auf. Vor ihnen stürzte sich der reißende Fluß Keshma unter eine Straßenbrücke.
    Jenseits
des Flusses zeigte sich auf einer noch steileren Anhöhe die Ziegelmauer des
Wosdwishenski-Klosters. Die Straße führte unten um den Klosterberg herum und
fädelte sich mit ein paar Windungen zwischen den Hinterhöfen am Stadtrand in
die Stadt hinein.
    Auf diese
Weise berührte sie noch einmal die Grenze des Klostergeländes am Hauptplatz,
auf den das grüngestrichene Eisentor des Klosters blickte. Die Ikone im
Eingangsgewölbe war im Halbkreis von einer goldenen Schrift umrahmt: »Freue
dich, lebenspendendes Kreuz, unbezwinglicher Sieg des frommen Glaubens.«
    Der Winter
ging zu Ende. Karfreitag, Ende der großen Fasten. Der Schnee auf den Wegen
wurde schwarz und verriet damit den Beginn des Tauwetters, doch auf den Dächern
war er noch weiß und bildete überhängende pralle Mützen.
    Für die
Jungen, die zu den Glöcknern auf den Glockenturm des Klosters gestiegen waren,
wirkten die Häuser von oben wie ein Häuflein zusammengeschobener Kästchen und
Schränkchen. Den Häusern näherten sich wie Punkte schwarze Menschlein. Die
Jungen konnten einige davon an ihren Bewegungen erkennen. Die Leute, die zur
Klostermauer kamen, lasen die dort angeklebten Plakate mit dem Erlaß des
Obersten Regenten über die Einberufung dreier Jahrgänge zur Armee.
     
    Die Nacht
brachte viel Unvorhergesehenes. Es wurde ungewöhnlich warm für die Jahreszeit.
Ein Sprühregen ging nieder, so luftig, daß er die Erde nicht zu erreichen und
wie eine Dunstwolke aus Wasserstaub in der Luft zu verschweben schien. Aber das
trog. Die warmen Wasserströme waren reichlich genug, um den Schnee von der
Erde zu waschen, die jetzt ganz schwarz war und schweißig glänzte.
    Die
niedrigen Apfelbäume voller Knospen streckten auf wundersame Weise ihre Zweige
über die Zäune auf die Straße. Von ihnen fielen mit unregelmäßigem Platschen
Tropfen auf die hölzernen Gehsteige. Ihr Getrommel tönte durch die ganze Stadt.
    Im Hof der
fotografischen Anstalt bellte und winselte bis zum Morgen der angekettete junge
Hund Tomik. Eine Krähe im Garten der Galusins, vielleicht von seinem Bellen
gereizt, krächzte, daß es durch die Stadt schallte.
    Im unteren
Teil der Stadt wurden dem Kaufmann Ljubesnow drei Fuhrwerke mit Frachtgütern
angeliefert. Er verweigerte die Annahme, weil das ein Irrtum sei und er diese
Waren nie bestellt habe. Unter Berufung auf die späte Stunde baten ihn die
jungen Lastfuhrleute um ein Nachtlager. Der Kaufmann beschimpfte sie, jagte sie
davon, öffnete nicht das Hoftor. Auch dieses Gezänk war in der ganzen Stadt zu
hören.
    In der
siebten Kirchenstunde, nach der allgemeinen Zeitrechnung um ein Uhr nachts,
löste sich von der schwersten Glocke des Klosters, die sich kaum bewegte, eine
Welle leisen, dunklen und süßen Geläuts und vermischte sich mit der dunklen
Feuchtigkeit des Regens. Sie stieß sich von der Glocke ab, so wie sich bei
Hochwasser ein unterspülter Erdbatzen vom Ufer losreißt, untergeht und sich im
Fluß auflöst.
    Es war die
Nacht auf Gründonnerstag, den Tag der zwölf Evangelien. Hinter dem Netz des
Regenschleiers bewegten sich und schwebten kaum unterscheidbar kleine Lichter
und von ihnen beschienene Stirnen, Nasen und Gesichter. Die Fastenden gingen
zur Frühmesse.
    Eine
Viertelstunde später waren vom Kloster her näher kommende Schritte auf dem
Gehsteig zu hören. Es war die Krämerin Galusina, die den kaum begonnenen
Gottesdienst verlassen hatte. Sie ging ungleichmäßig, lief ein Stück, blieb
wieder stehen; sie hatte ein Tuch über den Kopf geworfen und trug einen offenen
Fellmantel. In der schwülen Luft der Kirche war ihr schlecht geworden, darum
war sie an die Luft gegangen, doch jetzt schämte sie sich und bedauerte, daß sie
den Gottesdienst versäumte und schon das zweite Jahr nicht fastete. Aber nicht
das war der Grund ihres

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