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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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unterbrechen sollte, er schwieg also, wischte sich mit dem
Taschentuch das schweißige Gesicht, senkte erschöpft die geschwollenen Lider
und schloß die Augen.
    Ein Mann,
der neben ihm stand, sagte halblaut: »Ruh dich ein bißchen aus. Trink einen
Schluck Wasser.«
    Dem
beunruhigten Partisanenführer wurde gemeldet: »Kein Grund zur Aufregung. Alles
in Ordnung. Die Signallampe ist im Fenster. Der Wachposten, um es bildlich zu
sagen, kuckt Löcher in die Luft. Ich denke, der Vortrag kann fortgesetzt
werden. Sprechen Sie, Genosse Lidotschka.«
    In dem
großen Schuppen war das Brennholz zum Teil beiseite geräumt. Hier fand die
illegale Versammlung statt. Ein Holzstapel bis zur Decke diente als Tarnung und
verdeckte die leere Hälfte vom Eingang. Im Falle einer Gefahr konnten die
Versammlungsteilnehmer unter dem Fußboden verschwinden und durch einen
unterirdischen Gang bei den Hinterhöfen der Konstantinowski-Gasse jenseits der
Klostermauer wieder herauskommen.
    Der
Referent mit der schwarzen Kalikomütze, die seine Glatze bedeckte, hatte ein
mattblasses, etwas olivfarbenes Gesicht und einen schwarzen Vollbart und litt
an nervösen Schweißausbrüchen. Gierig zündete er einen Zigarettenstummel an
dem heißen Luftstrom der Petroleumlampe an und bückte sich zu den auf dem
Tisch verstreuten Papieren. Rasch und nervös überflog er sie mit seinen
kurzsichtigen Augen, als wollte er sie beschnuppern, dann sprach er mit müder
Stimme weiter: »Dieses Bündnis der städtischen und dörflichen Armut können wir
nur durch die Sowjets verwirklichen. Die sibirische Bauernschaft, ob sie will
oder nicht, muß sich jetzt den Bestrebungen anschließen, für die die sibirische
Arbeiterklasse schon lange kämpft. Ihr gemeinsames Ziel ist der Sturz der
verhaßten Selbstherrschaft der Admirale und Atamane und die Errichtung der
Sowjetmacht der Bauern und Soldaten durch einen bewaffneten Volksaufstand. Im
Kampf gegen die bis an die Zähne bewaffneten Offiziere und Kosaken, diese
Mietlinge der Bourgeoisie, müssen die Aufständischen einen regelrechten
Frontkrieg führen, der langwierig sein wird.«
    Er hielt
wieder inne, wischte sich den Schweiß ab, schloß die Augen. Gegen das Reglement
stand jemand auf, hob die Hand, wollte eine Bemerkung einwerfen.
    Der
Partisanenführer, genauer gesagt, der militärische Führer des Keshmaer
Verbandes der Partisanen Transuraliens, saß herausfordernd lässig direkt vor
dem Referenten und unterbrach ihn immer wieder grob und ohne den geringsten
Respekt. Es war kaum zu glauben, daß ein so junger Militär, fast noch ein
Junge, ganze Armeen und Verbände befehligte, daß man ihm gehorchte und ihm
Achtung erwies. Er saß da, Arme und Beine in den Kavalleristenmantel gewickelt.
Das über die Stuhllehne geworfene Oberteil des Mantels mit den Ärmeln ließ den
Oberkörper in der Feldbluse frei, die noch die dunklen Spuren der abgetrennten
Fähnrichsschulterklappen zeigte.
    Rechts und
links von ihm standen schweigend seine beiden jungen Leibwächter, so alt wie
er; sie trugen kurze, schon leicht angegraute weiße Schaffelljacken mit
kräuseligem Persianerbesatz. Ihre schönen steinernen Gesichter zeigten nichts
als blinde Ergebenheit für ihren Vorgesetzten und die Bereitschaft, alles, aber
auch alles für ihn zu tun. Die Versammlung, die aufgeworfenen Fragen, der
Verlauf der Debatte ließen sie gleichgültig, sie sagten nichts und lächelten
nicht. Außer diesen Leuten waren noch anderthalb Dutzend Männer im Schuppen.
Einige standen, andere saßen auf dem Fußboden, die Beine ausgestreckt oder die
Knie angezogen, und lehnten sich an die Wand aus kalfaterten Stämmen.
    Für die
Ehrengäste gab es Stühle. Darauf saßen drei oder vier Mann, Arbeiter,
Teilnehmer der ersten Revolution, unter ihnen der finstere, veränderte
Tiwersin und sein Freund, der alte Antipow, der ihm stets in allem recht gab.
Von der Revolution zu Göttern erhoben, denen sie alle ihre Gaben und Opfer zu
Füßen legte, saßen sie da, schweigsame, strenge Götzenbilder, denen der
politische Hochmut alles Lebendige, Menschliche genommen hatte.
    Es gab
noch mehr Gestalten in dem Schuppen, die Aufmerksamkeit verdienten. Ein Mann
stand immer wieder ruhelos vom Fußboden auf, setzte sich hin, ging auf und ab
und blieb mitten im Raum stehen. Es war die Säule des russischen Anarchismus,
Wdowitschenko, Schwarze Fahne, ein beleibter Riese mit mächtigem Schädel, breitem
Mund und Löwenmähne, ein Offizier, Teilnehmer nachgerade des

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