Boris Pasternak
das empfand er als nicht zur
Sache gehörendes Dilettantengeschwätz. Er sagte: »Eine sehr schöne Lektion.
Ich schreib's mir hinter die Ohren. Wahrscheinlich müssen wir das alles
widerspruchslos akzeptieren, wenn wir die Unterstützung der Roten Armee nicht
verlieren wollen.«
»So ist
es.«
»Aber was
soll ich mit deinem Kinderspickzettel machen, meine wunderschöne Lidotschka,
hör gut zu, wenn meine Streitkräfte, nämlich drei Regimenter, darunter Artillerie
und Reiterei, längst auf dem Marsch sind und den Gegner prachtvoll schlagen?«
Herrlich!
Was für eine Kraft! dachte Kostojed.
Tiwersin
mischte sich in den Streit. Liweris respektloser Ton gefiel ihm nicht. Er
sagte: »Entschuldigen Sie, Genosse Referent, ich bin nicht überzeugt.
Vielleicht habe ich einen der Punkte der Instruktion falsch mitgeschrieben. Um
mich zu vergewissern, lese ich vor: >Es ist äußerst wünschenswert, für das
Komitee alte Frontkämpfer zu gewinnen, die während der Revolution im Krieg
waren und den Soldatenorganisationen angehört haben. Es ist wünschenswert, in
dem Komitee einen oder zwei Unteroffiziere und Militärtechniker zu haben.<
Habe ich richtig mitgeschrieben, Genosse Kostojed?«
»Richtig.
Wort für Wort. Richtig.«
»Dann
erlauben Sie mir, folgendes zu bemerken. Die Sache mit den Militärspezialisten
beunruhigt mich. Wir Arbeiter, die an der Revolution neunzehnhundertfünf teilgenommen
haben, trauen denen von der Armee nicht. Mit denen schleicht sich immer die
Konterrevolution ein.«
Rundum
wurden Stimmen laut: »Genug! Die Resolution! Die Resolution! Wir wollen nach
Hause. Es ist schon spät.«
»Ich
schließe mich der Meinung der Mehrheit an«, sagte Wdowitschenko mit dröhnendem
Baß. »Um es poetisch auszudrücken: Die zivilen Institutionen müssen von unten
wachsen, auf demokratischer Grundlage, wie in die Erde gesteckte und
angewachsene Ableger eines Baums. Man darf sie nicht von oben einschlagen wie
Zaunpfähle. Diesen Fehler hat die Jakobinerdiktatur gemacht, worauf der Konvent
von den Thermidorianern zerschlagen wurde.«
»Das ist
so klar wie Gottes lichter Tag«, pflichtete ihm der Freund seiner Wanderungen,
Swirid, bei, »das begreift ein kleines Kind. Aber daran hätte man früher denken
sollen, jetzt ist es zu spät. Jetzt müssen wir kämpfen ohne Rücksicht auf
Verluste. Ächze, aber bieg dich. Sonst wär's ja so, als ob wir erst ausholen
und dann zurückweichen. Jetzt müssen wir die eingebrockte Suppe auslöffeln. Wer
ins Wasser geht, soll nicht jammern, wenn er ertrinkt.«
»Die
Resolution, die Resolution!« rief es von allen Seiten. Es wurde noch ein
Weilchen geredet, doch ohne Zusammenhang, wie Kraut und Rüben, und gegen
Morgen wurde die Versammlung geschlossen. Alle gingen einzeln und unter größter
Vorsicht.
Es war
eine malerische Stelle an der großen Straße. An einem abschüssigen Hang lagen,
von dem reißenden Flüßchen Pashinka getrennt, zwei Dörfer, die sich beinahe
berührten: am Hang Kutejny Possad und darunter Maly Jermolai. In Kutejny Possad
wurde mit den zum Militärdienst einberufenen Rekruten Abschied gefeiert,
während in Maly Jermolai unter dem Vorsitz des Obersten Strese die
Musterungskommission nach der Osterpause ihre Arbeit wieder aufnahm und die
wehrpflichtige Jugend des Dorfes und einiger angrenzender Landkreise musterte.
Aus diesem
Anlaß waren berittene Miliz und Kosaken im Dorf.
Es war der
dritte Tag nach dem besonders späten Ostern und dem besonders zeitigen
Frühling, ein stiller und warmer Tag. Die Tische mit dem Essen für die auszurüstenden
Rekruten standen in Kutejny Possad unter freiem Himmel am Rande der großen
Straße, um den Verkehr nicht zu behindern. Sie bildeten eine lange, nicht sehr
gleichmäßige Reihe und zogen sich wie ein langer Darm hin, bedeckt mit weißen
Tüchern, die bis auf die Erde hingen.
Für die
Bewirtung der Rekruten hatten alle zusammengelegt. Da gab es die Reste des
Ostermahls, zwei geräucherte Schinken, mehrere Osterkuchen und Quarkgebäck.
Über die
ganze Länge verteilt standen Schüsseln mit eingesalzenen Pilzen und Gurken und
mit Sauerkohl, Teller mit grob geschnittenem Bauernbrot, große Schüsseln mit
Haufen von bunt gefärbten Eiern. Bei den Farben überwogen rosa und hellblau.
Rund um
die Tische war das Gras voller Eierschalen, hellblau, rosa und innen weiß.
Hellblau und rosa waren auch die unter den Jacketts hervorschauenden Hemden der
jungen Männer. Hellblau und rosa waren die Kleider der Mädchen.
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