Boris Pasternak
Mund.«
»Aber eins
sag mir noch, Goschka. Ich weiß vom Sozialismus noch nicht alle Wörter. Zum
Beispiel Saboteur. Was ist das für ein Ausdruck? Was bedeutet das?«
»Ich bin zwar
Fachmann für diese Wörter, aber ich sag dir, Terescha, laß mich in Ruhe, ich
bin besoffen. Saboteur, das ist einer, der mit anderen in einer Bande ist.
Wenn dich einer Saboteur nennt, dann bist du mit ihm aus derselben Bande.
Verstehst du das, du Holzkopf?«
»Ich hab
mir schon gedacht, daß es ein Schimpfwort ist.
Und mit
der elektrischen Kraft, da hast du recht. Ich hab mir auf eine Annonce in
Petersburg einen elektrischen Gürtel bestellt. Um die Tätigkeit zu steigern.
Per Nachnahme. Aber dann auf einmal der Umsturz, da war nichts mehr mit dem
Gürtel.«
Terescha
sprach nicht weiter. Das trunkene Stimmengewirr wurde plötzlich aus nächster
Nähe von einer donnernden Detonation übertönt. Der Lärm an den Tischen brach
ab und setzte gleich darauf wieder ein. Die Leute sprangen auf. Wer noch etwas
nüchtern war, blieb stehen. Andere wollten wankend davonstolpern, aber sie
konnten sich nicht aufrecht halten, sie kippten unter den Tisch und begannen
sogleich zu schnarchen. Frauen kreischten. Ein Tumult setzte ein.
Wlas
Galusin sah sich nach allen Seiten um, um den Schuldigen zu finden. Sein Hals
spannte sich, sein Gesicht lief rot an, und er brüllte: »Was ist das für ein
Judas, der sich in unsere Reihen drängt und Schweinereien macht? Welcher Sohn
einer Mutter schmeißt hier Handgranaten? Wer es auch sein mag, ich erwürge den
Strolch, und wenn's mein eigener Sohn war! Solche Scherze lassen wir uns nicht
gefallen, Bürger! Ich verlange eine Razzia. Umstellen wir das Dorf Kutejny
Possad! Wir erwischen den Provokateur! Der Hund darf uns nicht entkommen!«
Anfangs
hörte man ihm zu. Dann wurde die Aufmerksamkeit von einer schwarzen Rauchsäule
abgelenkt, die aus der Landkreisverwaltung von Maly Jermolai langsam gen Himmel
stieg. Alle liefen nachsehen, was dort vorging -
Aus dem
brennenden Verwaltungsgebäude rannten ein paar entkleidete Rekruten, einer
barfuß und nackt, mit kaum hochgezogener Hose, sowie Oberst Strese mit den
anderen Offizieren der Musterungskommission. Durch das Dorf ritten,
peitschenschwingend und flach auf den gestreckten Pferdeleibern liegend wie auf
sich windenden Schlangen, Kosaken und Milizionäre. Sie wollten irgend jemanden
fangen. Die meisten Leute liefen auf der Straße nach Kutejny Possad. Auf dem
Glockenturm von Maly Jermolai wurde dröhnend Alarm geläutet.
Die
Ereignisse entwickelten sich erschreckend schnell. Als es schon dämmerte,
stiegen Strese und seine Kosaken von Maly Jermolai hinauf nach Kutejny Possad.
Rund um das Dorf wurden Posten aufgestellt, und dann durchsuchte man jedes
Haus, jedes Grundstück.
Um diese
Zeit war die Hälfte der gefeierten Rekruten schon bis zur Bewußtlosigkeit
besoffen. Sie schliefen wie tot, die Köpfe auf dem Tisch oder längelang
darunter. Als bekannt wurde, daß Miliz ins Dorf gekommen sei, war es schon
dunkel.
Ein paar der
Jungs stürzten vor der Miliz fluchtartig davon zu den hinteren Gärten, stießen
einander mit Tritten und Püffen vorwärts und krochen unter die nicht ganz bis
zur Erde reichende Bretterverkleidung des erstbesten Speichers. In der
Dunkelheit war nicht zu erkennen, wem er gehörte, aber nach dem Fisch- und
Petroleumgeruch zu urteilen, handelte es sich um den Keller des Konsums.
Die jungen
Männer, die sich hier versteckten, hatten nichts auf dem Gewissen. Es war ein
Fehler, daß sie sich verkrochen. Die meisten hatten es übereilt getan, in der
Trunkenheit, aus Dummheit. Manche von ihnen hatten Bekanntschaften, die jetzt
vielleicht anrüchig waren und ihnen, wie sie glaubten, schaden konnten.
Heutzutage bekam ja alles gleich einen politischen Anstrich. Übermut und
Rowdytum wurden in der sowjetischen Zone als Beweis für Schwarzhundertertum
angesehen, und in der Zone der Weißen galten Raufbolde als Bolschewiken.
Es stellte
sich heraus, daß die geflohenen Jungs gewarnt worden waren. Der ganze Raum
unter dem Fußboden des Speichers war voller junger Männer, unter ihnen auch ein
paar aus Kutejny Possad und Malyjermolai. Die ersteren waren tödlich betrunken.
Sie schnarchten stöhnend, zähneknirschend und ab und zu aufheulend. Anderen
war schlecht, und sie mußten brechen. Es war so dunkel, daß man nicht die Hand
vor Augen sah, und in der stickigen Luft stank es fürchterlich. Die Letzten
hatten von innen mit Erde und Steinen
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