Boris Pasternak
komm ich nicht herum. Aber ich will doch meine Lieben nicht mitnehmen ins
Jenseits. Sie werden denen in die Hände fallen. Er wird ihnen das Blut abzapfen
bis auf den letzten Tropfen.«
»Und davon
kommen deine Gespenster? Ich habe gehört, daß dir Gespenster erscheinen.«
»Laß man,
Doktor. Ich hab dir nicht alles gesagt. Die Hauptsache fehlt noch. Na schön,
hör sie dir an, meine stachlige Wahrheit, und sei mir nicht böse, wenn ich sie
dir ins Gesicht sag.
Von euch
Brüdern hab ich viele vernichtet. An mir klebt eine Menge Blut von Herrschaften
und Offizieren, und es hat mir nie etwas ausgemacht. Zahlen und Namen weiß ich
nicht, das ist von mir abgelaufen wie Wasser. Aber ein junger Kerl will mir
nicht aus dem Kopf, den hab ich erledigt, und ich kann's nicht vergessen. Wofür
hab ich den Bengel umgebracht? Totgelacht hab ich mich über den. Beim Lachen
hab ich ihn abgeknallt, aus Blödheit. Für nichts und wieder nichts.
Das war im
Februar. Unter Kerenski. Wir haben gemeutert. Bei einer Eisenbahnstrecke war
das. Sie schickten uns solch ein Jüngelchen von Agitator, der sollte uns mit
dem Maul zum Angriffanfeuern. Kämpfen sollten wir bis zum siegreichen Ende.
Dieser mickrige kleine Kadett kam also, um uns mit dem Maul zahm zu machen.
>Bis zum siegreichen Ende<, war seine Losung. Damit ist er auf ein
Wasserfaß für die Feuerwehr gesprungen, das hat da auf der Station gestanden.
Er ist also raufgeklettert, um uns von da oben zum Kampf zu rufen. Und auf
einmal ist der Deckel unter ihm umgekippt, und er mit den Beinen rein ins
Wasser. Er war falsch aufgetreten. Hab ich gelacht! Gekringelt hab ich mich,
ich dachte, ich muß sterben. War das komisch! Und ich hatte das Gewehr in der
Hand. Gelacht und gelacht hab ich, und das war alles, mehr war nicht. Als ob er
mich totgekitzelt hat. Na, da hab ich angelegt und ihn abgeknallt. Ich kapier
selber nicht, wie das gekommen ist. Als ob mich jemand angestoßen hat.
Und von
daher kommen meine Gesichte. In der Nacht träum ich von der Bahnstation. Damals
war's komisch, und jetzt tut's mir leid.«
»War das
in der Stadt Meljusejew, Station Birjutschi?«
»Vergessen.«
»Ihr
hattet mit den Einwohnern von Sybuschino gemeutert?«
»Vergessen.«
»An
welcher Front war das? An der Westfront?«
»Ich glaub
schon. Kann sein. Vergessen.«
Zwölfter Teil
Eberesche in Zucker
Die
Partisanenfamilien mit ihren Fuhrwerken, den Kindern und Habseligkeiten
folgten seit langem dem Heer. Den Schluß des Trecks bildeten riesige
Viehherden, vorwiegend Rinder, mehrere tausend Stück.
Mit den
Frauen erschien im Lager der Partisanen ein neues Gesicht, die Soldatenfrau
»Bärin« oder »Brummkreisel«, Tierärztin und insgeheim auch Zauberin.
Sie trug
ein Mützchen, das aussah wie ein Brötchen, schräg aufgesetzt, und einen
erbsengrünen Uniformmantel der königlich schottischen Schützen, der aus den
britischen Lieferungen an den Obersten Regenten stammte, aber sie versicherte,
diese Sachen aus einer Häftlingskappe und einem Häftlingskittel geschneidert
zu haben, als die Roten sie aus dem Keshmaer Zentralgefängnis befreiten, in
das Koltschak sie aus unbekannten Gründen eingesperrt hatte.
Um diese
Zeit befanden sich die Partisanen schon am neuen Ort. Es wurde angenommen, daß
der Aufenthalt hier nur kurz sein würde, bis man die Umgebung erkundet und
einen Platz gefunden hätte, der sich besser für das Winterlager eignete. Aber
die Umstände entwickelten sich anders und zwangen die Partisanen, schon an
dieser Stelle zu überwintern.
Dieser
neue Standort hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem verlassenen Fuchswerder. Es
war ein dichter, undurchdringlicher Taigawald. Auf der einen Seite, der Straße
und dem Lager abgekehrt, war kein Ende abzusehen. In den ersten Tagen, während
das Heer das neue Biwak aufschlug, um sich einzurichten, hatte Shiwago viel
Freizeit. Er drang in verschiedenen Richtungen in den Wald ein, um ihn zu
erkunden, und überzeugte sich, wie leicht man sich darin verirren konnte. Zwei
Stellen erregten seine Aufmerksamkeit und prägten sich ihm schon beim ersten
Erkundungsgang ein.
Beim
Ausgang aus dem Lager zum Wald, der jetzt herbstlich kahl und so durchsichtig
war, als wäre sein Tor geöffnet worden, stand einsam eine schöne Eberesche, die
als einziger Baum noch ihr rostrotes Laub behalten hatte. Sie erhob sich auf
einem Hügel oberhalb des moosbedeckten Moorbodens und streckte die flachen
Dolden ihrer harten roten Beeren gen Himmel, in das
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