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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Flüche.
    Der junge
Terescha Galusin nahm die Realschülermütze mit dem gelben Rand, die er noch
immer trug, ab, fiel auf die Knie und kroch rückwärts zu den furchtbaren Steinen.
Immer wieder verbeugte er sich bis zur Erde vor den Soldaten, schluchzte
herzzerreißend und flehte sie halb bewußtlos singend an: »Verzeiht mir, Brüder,
erbarmt euch, ich tu's nie wieder. Bringt mich nicht um. Tötet mich nicht. Ich
hab noch gar nicht gelebt, ich bin zu jung zum Sterben. Laßt mich noch ein
Weilchen leben, ich möcht meine liebe Mutter noch einmal sehen. Vergebt mir,
Brüder, erbarmt euch. Ich will euch die Füße küssen. Ich will Wasser für euch
tragen. Dieses Unglück, dieses Unglück, ich bin verloren, Mutter, Mutter.«
    Mittendrin
jammerte einer, und es war nicht zu erkennen, wer: »Genossen, ihr Lieben, ihr
Guten! Wie könnt ihr nur? Besinnt euch. Wir haben zusammen in zwei Kriegen
unser Blut vergossen. Wir haben für dieselbe Sache gekämpft. Habt Mitleid, laßt
uns frei. Wir werden eure Güte nie vergessen, wir werden sie uns verdienen, wir
werden sie mit der Tat beweisen. Seid ihr taub, daß ihr nicht antwortet? Tragt
ihr denn kein Kreuz?«
    Siwobljui
schrien sie zu: »Du Judas, du Christusverkäufer! Was sind wir gegen dich für
Verräter? Du Hund bist ein dreifacher Verräter, erwürgt gehörst du! Deinem Zaren
hast du den Eid geschworen, und deinen rechtmäßigen Zaren hast du umgebracht,
uns hast du Treue geschworen, und uns hast du verraten. Jetzt kannst du deinem
Liweri, diesem Satan, den Judaskuß geben, wenn du ihn noch nicht verraten hast.
Du wirst es tun.«
    Wdowitschenko
blieb sich auch am Rand des Grabes treu. Den Kopf mit den wehenden grauen
Haaren hocherhoben, rief er so laut, daß alle es hörten, Rshanizki zu wie ein
Kommunarde einem Kommunarden: »Erniedrige dich nicht, Bonifazi! Dein Protest
erreicht die gar nicht. Sie verstehen dich sowieso nicht, diese neuen
Opritschniki, diese neuen Henker und Folterknechte. Aber laß den Mut nicht
sinken, die Geschichte wird alles zurechtrücken. Unsere Nachfahren werden die
Häscher der Kommissarsmacht und ihr finsteres Geschäft an den Schandpfahl
nageln. Wir sterben als Märtyrer in der Morgenröte der Weltrevolution. Es lebe
die Revolution des Geistes! Es lebe die Weltanarchie!«
    Ein
lautloses, nur von den Schützen aufgefangenes Kommando, und eine Salve aus
zwanzig Gewehren mähte die Hälfte der Verurteilten nieder, die meisten tödlich.
Die übrigen starben unter der zweiten Salve. Am längsten zuckte der junge
Terescha Galusin, aber auch er wurde schließlich still und streckte sich.
     
    Der Plan,
das Lager für den Winter weiter nach Osten zu verlegen, wurde nicht sofort
aufgegeben. Die Erkundung des Geländes jenseits der großen Straße entlang der
Wyt-Keshmaer Wasserscheide wurde noch lange fortgesetzt. Liweri verließ oft das
Lager, um in die Taiga zu gehen, und dann blieb Juri Shiwago allein.
    Aber zum
Weiterziehen war es schon zu spät, und man wußte auch nicht wohin. Es war die
Zeit, in der die Partisanen die größten Fehlschläge hinnehmen mußten. Die
Weißen wollten vor ihrem endgültigen Zusammenbruch die irregulären Abteilungen
im Wald mit einem Schlag vernichten und sie mit vereinten Kräften einkesseln.
Sie bedrängten die Partisanen von allen Seiten. Das wäre für sie die
Katastrophe geworden, wenn der Radius des Kessels kleiner gewesen wäre. Die
Weite der Umklammerung rettete sie. Vor dem Winter war der Gegner nicht
imstande, seine Flanken in der undurchdringlichen grenzenlosen Taiga
zusammenzuziehen und das Bauernheer enger einzuschließen.
    In jedem
Falle war es unmöglich geworden weiterzumarschieren. Gewiß, wenn es einen Plan
für die Verlegung des Lagers gegeben hätte, der bestimmte militärische Vorteile
versprach, hätte man sich kämpfend aus der Umklammerung schlagen und eine neue
Stellung beziehen können.
    Aber einen
solchen ausgearbeiteten Plan gab es nicht. Die Menschen waren entkräftet. Die
jüngeren Kommandeure, denen der Mut gesunken war, verloren den Einfluß auf
ihre Untergebenen. Die Älteren trafen sich allabendlich zum Kriegsrat und
schlugen widersprüchliche Entscheidungen vor.
    Man mußte
die Suche nach einem anderen Winterlager aufgeben und das besetzte Waldgebiet
für den Winter befestigen. Der hohe Schnee machte den Winterwald für den
Gegner, der kaum Skier hatte, undurchdringlich. Man mußte sich eingraben und
große Lebensmittelvorräte anlegen.
    Der für
die Wirtschaft verantwortliche

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