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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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dunkle Blei des
vorwinterlichen Schlechtwetters. Die Wintervögel, Gimpel und Meisen, deren
Gefiederfarbe an frostkaltes Morgenrot erinnerte, setzten sich auf den Baum,
pickten langsam, wählerisch die großen Beeren, streckten Hals und Köpfchen aufwärts
und schluckten sie mühsam hinunter.
    Zwischen
den Vögeln auf dem Baum war eine lebendige Vertrautheit entstanden, als hätte
die Eberesche alles gesehen, sich lange gesträubt, dann aber nachgegeben, sich
der Vöglein erbarmt, sich aufgetan und ihnen die Brust gegeben wie eine Amme
dem Säugling. Was soll ich mit euch machen, eßt schon, eßt mich, nährt euch.
Und lachte.
    Die andere
Stelle im Wald war noch bemerkenswerter.
    Es war
eine Anhöhe, ein Berg, der auf einer Seite steil abfiel. Es schien, als müßte unterhalb
dieses Steilhangs etwas anderes liegen als oben, ein Fluß oder eine Schlucht
oder eine einsame, nie gemähte Wiese. Aber unten wiederholte sich das, was auch
oben war, nur in schwindelnder Tiefe, und man sah auf die Baumwipfel drunten
hinab. Wahrscheinlich hatte es hier einst einen Erdrutsch gegeben.
    Es sah so
aus, als wäre der düstere, bis unter die Wolken ragende, reckenhafte Wald
einstmals gestolpert und ganz und gar in die Tiefe hinuntergeflogen und hätte
durch die Erde hindurch bis in die Hölle stürzen müssen, wäre aber im
entscheidenden Moment durch ein Wunder auf der Erde festgehalten worden und
läge nun heil und unversehrt rauschend dort unten.
    Aber nicht
das, sondern etwas anderes machte diesen bewaldeten Berg so bemerkenswert. Sein
Rand war ringsum gesäumt von hochkant stehenden Granitblökken. Sie erinnerten
an die behauenen Steinplatten prähistorischer Grabstätten. Als Shiwago das
erstemal hierher kam, hätte er schwören mögen, daß dieser Platz mit den Steinen
nicht natürlichen Ursprungs sei, sondern die Spuren von Menschenhänden trage.
Hier mochte in alten Zeiten ein heidnischer Tempel unbekannter Götzenanbeter
gewesen sein, eine Stätte ihrer Gottesdienste und Opferungen.
    An dieser
Stelle sollte an einem kalten trüben Morgen an den elf Hauptschuldigen der
Verschwörung und den beiden Schnapsbrennern das Todesurteil vollstreckt werden.
    Zwanzig
Partisanen, die der Revolution besonders treu ergeben waren und deren Kern die
Stabswache bildete, eskortierten die Verurteilten hierher. Der Konvoi bildete
einen Halbkreis um die Verurteilten und drängte sie, das Gewehr im Anschlag,
rasch gegen die Steinblöcke am Rand der oberen Plattform, von wo sie keinen
Fluchtweg hatten, es sei denn, sie sprängen in den Abgrund.
    Die
Verhöre, die lange Haft unter Bewachung und die durchlebten Erniedrigungen
hatten ihnen das menschliche Aussehen genommen. Sie waren bartstoppelig,
schwarzgesichtig, erschöpft und wirkten furchteinflößend wie Gespenster.
    Gleich zu
Beginn der Untersuchung waren sie entwaffnet worden. Niemand hatte daran
gedacht, sie vor der Hinrichtung noch einmal abzutasten. Das empfanden sie als
eine zusätzliche Gemeinheit, eine Verhöhnung der Menschen unmittelbar vor ihrem
Tod.
    Neben
Wdowitschenko ging sein Freund Rshanizki, wie er ein alter überzeugter
Anarchist. Plötzlich feuerte er auf Siwobljui, der in der Kette der
Begleitsoldaten ging, drei Schüsse ab. Rshanizki war ein ausgezeichneter
Schütze, aber seine Hand zitterte vor Erregung, und er schoß fehl. Wieder
hinderte ein Taktgefühl, ein Mitleid mit dem ehemaligen Kameraden die Eskorte,
sich auf ihn zu stürzen oder mit einer vorzeitigen Salve dem Erschießungsbefehl
zuvorzukommen. Rshanizki blieben noch drei Schüsse, aber vielleicht hatte er
das in der Aufregung vergessen. Vor Wut über den Fehlschuß warf er den Browning
gegen einen der Steine. Durch den Aufprall löste sich ein vierter Schuß, der
den verurteilten Patschkolja ins Bein traf.
    Der
Sanitäter Patschkolja schrie auf, griff sich ans Bein, schlug lang hin und
winselte vor Schmerzen. Pafnutkin und Gorasdych, die neben ihm standen, hoben
ihn auf, faßten ihn unter den Achseln und schleppten ihn mit, damit die
Kameraden nicht über ihn hinwegtrampelten, denn keiner der Verurteilten war
ganz bei Sinnen. Patschkolja ging springend, humpelnd zum steinernen Rand der
Anhöhe, gegen den die Todeskandidaten gedrängt wurden, er konnte mit dem
getroffenen Bein nicht mehr auftreten und schrie unaufhörlich. Sein
unmenschliches Geheul war ansteckend. Wie auf Kommando verloren alle die
Selbstbeherrschung. Eine grauenhafte Szene folgte. Es hagelte Schimpfworte,
flehentliche Bitten, Klagen,

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