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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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kaum. Doch ich bin nicht deshalb gekommen. Ich habe gehört, du
magerst ab, trinkst und ißt nicht mehr, kannst nicht schlafen? Aber schlecht
siehst du nicht aus. Nur ein bißchen unrasiert.«
    Pamfil
Palych war ein kräftig gebauter Mushik mit struppigen schwarzen Haaren, einem
Bart und einer gebuckelten Stirn, die den Eindruck erweckte, als hätte einst
eine Art Ring oder Kupferreifen um seinen Kopf gelegen und das Stirnbein
eingedrückt. Das gab ihm das ungute, drohende Aussehen eines Menschen, der
ständig unter gesenkter Stirn hervorblickt.
    Zu Beginn
der Revolution, als allgemein befürchtet wurde, sie könnte nach dem Beispiel
von neunzehnhundertfünf wieder nur ein kurzfristiges Ereignis in der Geschichte
der gebildeten Oberschichten bleiben, die unteren Schichten dagegen unberührt
lassen und keine Wirkung auf sie haben, war man bemüht gewesen, das Volk nach
Kräften zu agitieren, zu revolutionieren, aufzurühren, aufzuregen und
aufzustacheln.
    In diesen
ersten Tagen schienen Menschen wie der Soldat Pamfil Palych, die ohne jegliche
Agitation Intelligenzler, Gutsbesitzer und Offiziere mit tierischem Haß
verfolgten, für die begeisterten linken Intellektuellen kostbare Entdeckungen
von furchtbarem Wert zu sein. Deren Unmenschlichkeit dünkte sie ein Wunder von
Klassenbewußtsein, ihre Barbarei wurde als mustergültige proletarische Härte
und als revolutionärer Instinkt empfunden. Solcherart war der Ruhm, den sich
Pamfil Palych erworben hatte. Er stand bei den Partisanenhäuptlingen und
Parteiführern in gutem Ansehen.
    Der Arzt
sah in dem finsteren, wenig umgänglichen Kraftkerl eine nicht ganz normale
Ausgeburt wegen seiner Seelenlosigkeit und der Einförmigkeit und Dürftigkeit
seiner Interessen und Bedürfnisse.
    »Gehen wir
ins Zelt«, lud Palych ihn ein.
    »Nein,
wozu, da passe ich nicht rein. An der frischen Luft ist es schöner.«
    »Gut. Wie
du willst. Ist ja wirklich eine Höhle. Setzen wir uns auf die Knüppel« (so
nannte er die gefällten Bäume) »und reden wir.«
    Sie
setzten sich auf den federnden Birkenstapel.
    »Wie man
so sagt, ein Märchen ist schnell erzählt, doch ein Werk ist nicht so schnell
getan. Aber auch mein Märchen ist nicht so schnell erzählt. Dazu brauchte ich
mehr als drei Jahre. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
    Na,
vielleicht so. Ich hab mit meiner Hausfrau gelebt. Wir waren jung. Sie hat den
Haushalt besorgt. Ich konnte mich nicht beklagen. Ich war Bauer. Hatte Kinder.
Dann holten sie mich zu den Soldaten. Schickten mich als Flügelmann in den
Krieg. Naja, der Krieg, von dem brauch ich dir nichts erzählen, du hast ihn
gesehen, Genosse Arzt. Na, dann die Revolution. Sie hat mir die Augen geöffnet.
Mein Feind war nicht der Deutsche, der Germane, der Fremde, sondern er stand im
eigenen Land. Die Soldaten der Weltrevolution haben die Bajonette in die Erde
gesteckt und ab nach Hause von der Front, drauf auf die Burshuis! Und so
weiter. Das weißt du ja alles selber, Genosse Militärarzt. Und so weiter.
Bürgerkrieg. Ich zu den Partisanen. Jetzt laß ich eine Menge weg, sonst werd
ich nie fertig. Wenn ich jetzt kuck, was seh ich im gewärtigen Moment? Der
Parasit hat von der russischen Front das erste und zweite Stawropoler Regiment
und das erste Orenburger Kosakenregiment abgezogen. Bin ich ein Kind, daß ich
das nicht kapier? Hab ich etwa nicht in der Armee gedient? Unsere Sache steht
schlecht, Genosse Militärarzt, ganz schlecht. Was will der Lump? Er will sich
mit der ganzen Bande auf uns stürzen. Einkesseln will er uns.
    Und dann
hab ich meine Frau bei mir und die Kinderchen. Wenn er jetzt siegt, wo sollen
sie hin, um sich vor ihm zu verbergen? Kapiert er denn überhaupt, daß sie ganz
unschuldig sind, daß sie nichts damit zu tun haben? Das wird ihn nicht scheren.
Wegen mir werden sie der Frau die Hände fesseln, sie foltern, wegen mir werden
sie Frau und Kinder totquälen, ihnen die Knochen und Gelenke brechen. Und da
soll ich ruhig schlafen und essen? Erlaube mal. Da kann man noch so eiserne Nerven
haben, da wird man verrückt.«
    »Komisch
bist du, Pamfil. Ich verstehe dich nicht. Du bist doch jahrelang ohne sie
ausgekommen, hast nichts von ihnen gewußt, nicht um sie getrauert. Jetzt wirst
du sie heute oder morgen sehen, und statt dich zu freuen, sprichst du ihnen das
Totengebet.«
    »Zwischen
früher und heute ist ein großer Unterschied. Das Lumpenpack mit den weißen
Schulterklappen wird uns besiegen. Davon rede ich nicht. Mir winkt das Grab.
Darum

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