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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Partisan Bissjurin meldete einen empfindlichen
Mangel an Mehl und Kartoffeln. Vieh gab es genügend, und Bissjurin sah voraus,
daß im Winter die Hauptnahrung Fleisch und Milch sein würden.
    Es fehlte
an Winterkleidung. Ein Teil der Partisanen lief halbnackt herum. Im Lager
wurden sämtliche Hunde getötet. Aus den Fellen nähten Partisanen, die sich auf
die Kürschnerei verstanden, Pelzjoppen mit dem Fell nach außen.
    Doktor
Shiwago bekam keine Transportmittel mehr. Die Fahrzeuge wurden für Wichtigeres
gebraucht. Auf dem letzten Marsch waren die Schwerkranken vierzig Werst weit zu
Fuß auf Tragen geschleppt worden.
    An
Medikamenten hatte Shiwago nur noch Jod, Chinin und Glaubersalz. Das für
Operationen und Verbände notwendige Jod war kristallisiert und mußte in
Alkohol aufgelöst werden. Nun bedauerte man, den Selbstgebrannten Schnaps
vernichtet zu haben, und übertrug den weniger schuldigen, freigesprochenen
Schnapsbrennern die Aufgabe, die zerstörten Apparate instand zu setzen oder
neue zu bauen. Die unterbrochene Schnapsbrennerei wurde zu medizinischen
Zwecken wieder aufgenommen. Im Lager zwinkerte man sich zu und schüttelte den
Kopf. Neuerliche Fälle von Trunkenheit trugen zum fortschreitenden Zerfall des
Lagers bei.
    Es gelang,
fast hundertprozentigen Alkohol zu brennen. In dieser Flüssigkeit lösten sich
kristallisierte Präparate gut auf. Mit auf Chinarinde angesetztem Selbstgebrannten
behandelte Shiwago später, zu Beginn des Winters, die mit der Kälte neu
entstandenen Fälle von Flecktyphus.
     
    In diesen
Tagen sah Doktor Shiwago Pamfil Palych mit seiner Familie. Die Frau und die
Kinder hatten den vergangenen Sommer während ihrer Flucht auf staubigen
Straßen und unter freiem Himmel verbracht. Sie waren verängstigt durch die
erlebten Grausigkeiten und waren auf neue gefaßt. Das Wanderleben hatte
bleibende Spuren in ihnen hinterlassen. Palychs Frau und seine drei Kinder, ein
Söhnchen und zwei Töchter, hatten von der Sonne gebleichte flachsblonde Haare
und strenge weiße Augenbrauen in den wettergegerbten, von der Sonne schwarz
gebrannten Gesichtern. Die Kinder waren noch zu klein, um Zeichen ihrer
schlimmen Erlebnisse zu tragen, aber das Gesicht ihrer Mutter hatte von den
durchstandenen Strapazen und Gefahren jede lebendige Mimik verloren und nur
eine trockene Regelmäßigkeit der Züge, fadendünn zusammengepreßte Lippen und
eine gespannte Starrheit des Leidens zurückbehalten, bereit zur Selbstverteidigung.
    Palych
liebte seine Familie besinnungslos, besonders die Kinder, und schnitzte ihnen
so geschickt, daß der Arzt nur so staunte, mit einer Ecke des
scharfgeschliffenen Beils Spielzeug aus Holz: Hasen, Bären, Hähne.
    Seit er
die Familie bei sich hatte, war er fröhlicher geworden, hatte Mut gefaßt und
begann sich zu erholen. Aber dann wurde bekannt, daß wegen des schädlichen
Einflusses, den die Anwesenheit der Familien auf die Stimmung im Lager ausübte,
die Partisanen von ihren Angehörigen getrennt, das Lager von dem nichtmilitärischen
Anhang befreit und der Flüchtlingstreck unter ausreichender Bewachung zu einem
entlegenen Winterlager gebracht werden sollte. Das Gerede über diese Trennung
war größer als die wirklichen Vorkehrungen. Der Arzt hielt die Maßnahme für
undurchführbar. Aber Palych wurde finster, und die früheren Gespenster kehrten
zu ihm zurück.
     
    An der
Schwelle des Winters machten sich im Lager aus mehreren Gründen langanhaltende
Unruhe, Ungewißheit, gefährliche und verworrene Vermutungen und sonderbare
Ungereimtheiten breit.
    Die Weißen
hatten die geplante Einschließung der Aufständischen vollzogen. Die Operation
war von den Generalen Wizyn, Kwadri und Bassalygo geleitet worden. Sie waren
berühmt für ihre Härte und ihre unbeugsame Entschlossenheit. Allein ihre Namen
flößten den Frauen im Lager und der friedlichen Bevölkerung, die in ihren Dörfern
hinter der gegnerischen Umfassungskette geblieben war, Entsetzen ein.
    Wie schon
gesagt, vorerst würde der Feind den Kreis nicht enger ziehen können. In dieser
Hinsicht konnte man ruhig sein. Aber die Umklammerung außer acht zu lassen war
unmöglich. Wenn sich die Partisanen in die Umstände geschickt hätten, würde
dies den Gegner moralisch gestärkt haben. Sie mußten versuchen, den Ring zu
durchbrechen, auch wenn er ungefährlich war, und sei es nur zwecks
militärischer Demonstration.
    Hierfür
wurden größere Partisanenkräfte bereitgestellt und gegen den westlichen Bogen
des Kreises

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