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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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den Doktor Shiwago aus dem Ambulatorium
mitgebracht und auf den Tisch gestellt hatte, kaute Kartoffeln und wurde
allmählich betrunken.
     
    Es war
schon spät. Der von Zeit zu Zeit entschuppte Docht des Lämpchens brannte
knisternd hell, dann sank das Zimmer wieder in Dunkelheit. Shiwago und Lara waren
müde, überdies mußten sie allein miteinander sprechen. Komarowski aber ging
und ging nicht. Seine Anwesenheit war ebenso belastend wie der Anblick des
schweren Eichenbüfetts und die eisige Dunkelheit des Dezember vor den Fenstern.
    Er sah
nicht sie an, sondern über sie hinweg, starrte mit betrunkenen runden Augen auf
einen fernen Punkt und redete mit schwerer Zunge endlos langweiliges Zeug,
immer wieder dasselbe. Sein Steckenpferd war der Ferne Osten. Darüber ließ er
sich umständlich aus und entwickelte Lara und dem Arzt seine Überlegungen zu
der politischen Bedeutung der Mongolei.
    Doktor
Shiwago und Lara hatten nicht mitbekommen, an welchem Punkt der Unterhaltung er
auf die Mongolei gekommen war. Der Umstand, daß sie diesen Übergang verpaßt
hatten, machte ihnen das fremde, abseitige Thema noch lästiger.
    Komarowski
sagte: »Sibirien, das ist das wahrhaft Neue Amerika, wie es genannt wird. Es
birgt überaus reiche Möglichkeiten. Es ist die Wiege der großen russischen
Zukunft, das Unterpfand unserer Demokratisierung, unseres Florierens, unserer
politischen Gesundung. Noch mehr lockende Möglichkeiten bietet die Zukunft der
Mongolei, der Äußeren Mongolei, unseres großen fernöstlichen Nachbarlandes. Was
wissen Sie über dieses Land? Sie schämen sich nicht zu gähnen, und vor
Desinteresse fallen Ihnen die Augen zu, dabei hat das Land eine Fläche von
anderthalb Millionen Quadratwerst mit unerforschten Bodenschätzen und ist im
Zustand prähistorischer Jungfräulichkeit. Nach diesem Land greifen die gierigen
Hände Chinas, Japans und Amerikas, zum Schaden unserer russischen Interessen,
die von allen Konkurrenten akzeptiert werden, gleichviel wie die Einflußsphären
in diesem fernen Winkel des Erdballs aufgeteilt werden.
    China
zieht Nutzen aus der feudal-theokratischen Rückständigkeit der Mongolei, es
nimmt Einfluß auf ihre Lamas und Chutagte. Japan stützt sich auf die dortigen
Leibeigenschaftsfürsten, die auf mongolisch Choschuns heißen. Das rote
kommunistische Rußland findet seine Bundesgenossen in der revolutionären
Assoziation der aufständischen Araten. Ich selbst möchte die Mongolei wirklich
in Wohlstand sehen, regiert von einem frei gewählten Churaltai. Uns persönlich
sollte folgendes beschäftigen. Ein Schritt über die mongolische Grenze, und
die Welt liegt Ihnen zu Füßen, und Sie sind frei wie ein Vogel.«
    Seine
wortreichen Auslassungen über das lästige Thema, das mit ihnen rein gar nichts
zu tun hatte, versetzten Lara in gereizte Stimmung. Von dem langweiligen
Besuch, der sich endlos in die Länge zog, völlig erschöpft, streckte sie
Komarowski entschlossen die Hand hin, um ihn zu verabschieden, und sagte ohne
Umschweife, mit unverhohlener Feindseligkeit: »Es ist schon spät. Sie müssen
gehen. Ich bin müde.«
    »Ich
hoffe, Sie werden nicht so ungastlich sein, mich jetzt vor die Tür zu setzen.
Ich bin nicht sicher, ob ich mich so spät in der Nacht in der fremden,
unbeleuchteten Stadt zurechtfinde.«
    »Das
hätten Sie sich früher überlegen müssen, statt sich hier so lange festzusetzen.
Niemand hat Sie gehalten.«
    »Oh, warum
sprechen Sie so schroff mit mir? Sie fragen ja nicht einmal, ob ich hier
irgendeine Unterkunft habe.«
    »Das
interessiert mich nicht. Aber Sie werden schon für sich sorgen können. Falls
Sie aber hier übernachten wollen, in dem Zimmer, wo wir und Katenka schlafen,
das geht gar nicht. In den anderen Räumen werden Ihnen die Ratten keine Ruhe
lassen.«
    »Die
fürchte ich nicht.«
    »Na, wie
Sie meinen.«
     
    »Was hast
du, mein Engel? Wie viele Nächte hast du nicht geschlafen, bei Tisch rührst du
das Essen nicht an, und den ganzen Tag läufst du herum wie entrückt. Und
immerzu denkst du nach. Was verfolgt dich? Du darfst den quälenden Gedanken
nicht freien Lauf lassen.«
    »Der
Krankenhauswächter Isot war wieder da. Er hat hier im Hause eine Liebschaft mit
der Wäscherin. Da ist er kurz vorbeigekommen und hat mir was erzählt. >Ein
schreckliches Geheimnis<, sagt er. >Der Deinige kommt um den Knast nicht
drum rum. Sie können ihn jeden Moment holen. Und dann auch dich Ärmste.<
Ich habe ihn gefragt, woher er das weiß. >Du kannst dich

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