Boris Pasternak
Wohnungsinhaber empfangen werden, das
seine einstige Bestimmung beibehalten hatte. Darin standen ein gewaltiger
Eichentisch und ein großes schweres Büfett, ebenfalls aus dunkler Eiche. Auf
dem Tisch brannte das Lämpchen des Arztes, ein Fläschchen Rhizinusöl mit einem
hineingesenkten Docht.
Komarowski
kam aus der Dunkelheit des Dezember, über und über beschneit. Der Schnee fiel
in ganzen Schichten von seinem Pelzmantel, von der Fellmütze und den Galoschen
und schmolz auf dem Fußboden zu Pfützen. Schnurrbart und Vollbart, die er
früher rasiert hatte, jetzt aber wachsen ließ, verliehen ihm mit dem daran haftenden
Schnee das Aussehen eines Clowns, eines Hanswurstes. Er trug einen
guterhaltenen Anzug, Jackett und gestreifte Hose mit Bügelfalte. Bevor er
grüßte oder sonst etwas sagte, kämmte er lange die angedrückten nassen Haare
mit einem Taschenkamm und wischte mit einem Taschentuch die Nässe vom
Schnurrbart und von den Augenbrauen. Dann streckte er mit einem Ausdruck vielsagender
Wortlosigkeit gleichzeitig beide Hände aus, die linke Lara, die rechte Doktor
Shiwago entgegen.
»Gehen wir
davon aus, daß wir uns kennen«, sagte er zu dem Arzt. »Ich hatte ein gutes
Verhältnis zu Ihrem Vater, das wird Ihnen bekannt sein. Er hat in meinen Armen
seinen Geist aufgegeben. Ich schaue Sie an und suche nach Ähnlichkeit. Nein,
Sie kommen wohl nicht nach Ihrem Herrn Vater. Er war ein Mensch mit einer
großzügigen Natur. Ein heftiger, impulsiver Mensch. So wie Sie aussehen,
kommen Sie eher nach Ihrer Frau Mutter. Sie war eine sanfte Frau. Eine
Träumerin.«
»Larissa
Fjodorowna hat mich gebeten, Sie anzuhören. Sie sagte mir, Sie hätten ein
Anliegen an mich. Ich habe ihrer Bitte entsprochen. Unser Gespräch, so oder so,
ist erzwungen. Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte die Bekanntschaft mit
Ihnen nicht gesucht, und ich gehe nicht davon aus, daß wir uns kennen. Also zur
Sache. Was wünschen Sie?«
»Guten
Tag, meine Lieben. Ich fühle alles, aber auch alles durch und durch, und ich
verstehe völlig. Verzeihen Sie mir die Kühnheit, aber Sie sind einander
schrecklich ähnlich. Sie sind ein im höchsten Grade harmonisches Paar.«
»Ich muß
Sie unterbrechen. Bitte mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts
angehen. Ihr Mitgefühl ist unerwünscht. Sie vergessen sich.«
»Aber doch
nicht gleich so aufbrausen, junger Mann. Nein, Sie sind Ihrem Vater ja doch
ähnlich. Ebenso leicht entflammbar. Ja, mit Ihrer Erlaubnis, ich gratuliere
euch, meine Kinder. Bedauerlicherweise seid ihr nicht nur nach meiner Anrede,
sondern auch in Wirklichkeit Kinder, die nichts wissen und über nichts
nachdenken. Ich bin erst seit zwei Tagen hier und habe mehr über euch erfahren,
als ihr nur ahnen könnt. Ihr steht, ohne es zu wissen, am Rande des Abgrunds.
Wenn die Gefahr nicht irgendwie abgewendet wird, sind die Tage eurer Freiheit
und vielleicht eures Lebens gezählt.
Es gibt
einen gewissen kommunistischen Stil. In dieses Maß paßt kaum ein Mensch hinein.
Aber niemand verstößt so offensichtlich gegen diese Lebens- und Denkweise wie
Sie, Juri Andrejewitsch. Wozu schlafende Hunde wecken? Sie sind eine
Verhöhnung, eine Beleidigung dieser Welt. Wenn das wenigstens Ihr Geheimnis
wäre. Aber es gibt hier einflußreiche Leute aus Moskau, die kennen Ihre innere
Welt gründlich. Sie beide gehen den hiesigen Themispriestern gewaltig gegen den
Strich. Die Genossen Antipow und Tiwersin wollen Larissa Fjodorowna und Ihnen
ans Leder.
Sie sind
ein Mann, ein freier Kosak oder wie man das nennt. Ein unsinniges Benehmen, ein
Spiel mit dem eigenen Leben, das ist Ihr heiliges Recht. Aber Larissa
Fjodorowna ist nicht frei. Sie ist Mutter. In ihren Händen liegt das Leben, das
Schicksal ihres Kindes. Phantasieren, über den Wolken schweben, dazu hat sie
nicht das Recht.
Ich habe
den ganzen Vormittag damit zugebracht, ihr zuzureden, sie davon zu überzeugen,
die Situation ernst zu nehmen. Sie will nicht auf mich hören. Setzen Sie Ihre
Autorität ein, machen Sie Ihren Einfluß auf Larissa Fjodorowna geltend. Sie hat
nicht das Recht, Katenkas Sicherheit auf die leichte Schulter zu nehmen, sie
darf meine Erwägungen nicht in den Wind schlagen.«
»Ich habe
nie im Leben jemanden gezwungen oder zu überzeugen versucht. Schon gar nicht
Menschen, die mir nahestanden. Larissa Fjodorowna steht es frei, Sie anzuhören
oder auch nicht. Das ist ihre Sache. Außerdem habe ich nicht die geringste
Ahnung, worum es geht. Das, was Sie Ihre
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