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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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darauf
verlassen<, sagt er. >Ich hab's aus dem Exer.< Mit Exer, das kannst du
dir denken, ist das Exekutivkomitee gemeint.«
    Lara und
Doktor Shiwago lachten.
    »Er hat
völlig recht. Die Gefahr ist herangereift und steht schon vor der Tür. Wir
müssen sofort verschwinden. Fragt sich nur wohin. Nach Moskau zu fahren, daran
ist nicht zu denken. Die Vorbereitungen sind viel zu kompliziert, würden auch
auffallen. Wir müssen es klammheimlich machen, so daß niemand etwas merkt.
Weißt du was, mein Herz? Laß uns deine Idee verwirklichen. Für eine Zeitlang
müssen wir irgendwo untertauchen. Dieser Ort soll Warykino sein. Wir wollen für
ein paar Wochen hinfahren.«
    »Danke,
Liebster, danke. Wie ich mich freue! Ich verstehe, wie schwer dir dieser
Entschluß fällt. Aber wir müssen ja nicht in euer Haus ziehen. Dort zu wohnen
wäre für dich tatsächlich unvorstellbar. Die leeren Zimmer, Vorwürfe,
Vergleiche. Meinst du, ich verstehe das nicht? Das hieße, unser Glück auf dem
Leid anderer aufzubauen und zu zertrampeln, was dem Herzen teuer und heilig
ist. Ein solches Opfer würde ich nie von dir annehmen. Aber darum geht es
nicht. Euer Haus ist ohnehin so verwüstet, daß es uns kaum gelingen würde, die
Zimmer halbwegs bewohnbar zu machen. Ich habe eher an die verlassene Wohnung
der Mikulizyns gedacht.«
    »Alles
richtig. Ich danke dir für dein Feingefühl. Aber warte, ich will dich schon die
ganze Zeit fragen und vergesse es immer wieder: Wo ist Komarowski? Ist er noch
hier oder schon abgereist? Seit meinem Streit mit ihm und seit ich ihn
hinausgeworfen habe, weiß ich nichts von ihm.«
    »Ich weiß
auch nichts. Zum Teufel mit ihm. Was willst du von ihm?«
    »Ich komme
immer mehr zu der Überzeugung, wir hätten seinen Vorschlag auf
unterschiedliche Weise annehmen sollen. Wir sind nicht in der gleichen
Situation. Du hast die Verantwortung für deine Tochter. Selbst wenn du meinen
Untergang teilen wolltest, hättest du nicht das Recht dazu.
    Doch
zurück zu Warykino. Selbstredend, in diese verwilderte Einöde im strengen
Winter zu fliehen, ohne Vorräte, ohne Kräfte, ohne Hoffnungen, das wäre heller
Wahnsinn. Aber laß uns eben wahnsinnig sein, mein Herz, wenn uns außer Wahnsinn
nichts mehr bleibt. Erniedrigen wir uns noch einmal. Bitten wir Samdewjatow um
ein Pferd. Bitten wir ihn, oder nicht einmal ihn, sondern die Schieber, die er
unter sich hat, um Mehl und Kartoffeln, und laden wir uns damit eine Schuld
auf, für die wir keine Sicherheit bieten können. Wir wollen ihn überreden, daß
wir seine Wohltat nicht sofort entgelten müssen, sondern erst gegen Ende, wenn
er sein Pferd holen kommt. Laß uns eine Weile allein sein. Fahren wir, mein
Herz. Wir wollen in einer Woche soviel Holz verheizen, wie es bei
gewissenhaftem Wirtschaften für ein Jahr reichen würde.
    Und noch
etwas. Verzeih mir die Aufregung, die in meinen Worten durchbricht. Wie gern
möchte ich ohne dieses dumme Pathos mit dir sprechen! Aber wir haben ja
wirklich keine Wahl. Nenne es, wie du willst, der Untergang klopft tatsächlich
an unsere Tür. Wir haben nur noch gezählte Tage. Nutzen wir sie auf unsere
Weise. Verbrauchen wir sie für unser Leben, für das letzte Zusammensein vor der
Trennung. Verabschieden wir uns von allem, was uns teuer war, von unseren
gewohnten Begriffen, von dem, wie wir zu leben träumten und was das Gewissen
uns lehrte, begraben wir unsere Hoffnungen, nehmen wir Abschied voneinander.
Sagen wir uns noch einmal all unsere geheimen nächtlichen Worte, die so groß
und so still sind wie der Name des asiatischen Ozeans. Du stehst nicht zufällig
am Ende meines Lebens, mein heimlicher, verbotener Engel, unter dem Himmel der
Kriege und Aufstände, du hast ja schon am Anfang meines Lebens gestanden, unter
dem friedlichen Himmel der Kindheit.
    Damals in
der Nacht, als Gymnasiastin der höheren Klassen, im braunen Schulkleid, im
Halbdunkel hinter der Trennwand im Hotelzimmer, warst du vollkommen die gleiche
wie jetzt, genauso bestürzend schön.
    Später im
Leben habe ich oft versucht, das Licht der Verzauberung zu bestimmen und zu
benennen, das damals von dir auf mich überging, den allmählich matter
werdenden Strahl und den ersterbenden Laut, die sich seither in meinem ganzen
Dasein ausbreiteten und dank dir zum Schlüssel für alles übrige auf der Welt
wurden.
    Als du wie
ein Schatten im Schulkleid aus der Dunkelheit des Hotelzimmers hervortratst,
habe ich, ein Knabe, der nichts von dir wußte, mit der ganzen Qual der

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