Boris Pasternak
auf dich
antwortenden Kraft begriffen: Dieses zierliche, schmale Mädchen ist bis ans
äußerste aufgeladen mit aller Weiblichkeit der Welt wie mit elektrischem Strom.
Wenn ich zu ihr trete oder sie mit dem Finger berühre, wird ein Funke das
Zimmer erleuchten und mich entweder auf der Stelle töten oder mich fürs ganze
Leben elektrisieren mit magnetisch anziehender, klagender Zuneigung und Trauer.
Ich war voll von verworrenen Tränen, und innerlich habe ich gestrahlt und
geweint. Ich tat mir selber tödlich leid, ich, der Junge, und noch mehr tatst
du mir leid, das Mädchen. Mein ganzes Wesen staunte und fragte: Wenn es
dermaßen weh tut, zu lieben und Elektrizität aufzunehmen, wieviel mehr weh muß
es tun, eine Frau zu sein, Elektrizität zu sein, Liebe einzuflößen?
So, nun
ist es endlich gesagt. Es ist zum Verrücktwerden. Und ich bin ganz gefangen
darin.«
Lara lag
angekleidet auf dem Bettrand und schien sich nicht wohl zu fühlen. Sie hatte
sich zusammengerollt und ein Tuch über sich gezogen. Shiwago saß auf einem
Stuhl neben ihr und sprach leise, mit langen Pausen. Manchmal stützte sich Lara
auf den Ellbogen, legte das Kinn in die Hand und sah ihn mit offenem Mund an.
Manchmal drückte sie sich an seine Schulter und weinte leise und selig, ohne
ihrer Tränen gewahr zu werden. Endlich legte sie die Arme um ihn und flüsterte
voller Freude: »Jura, Jura, wie klug du bist! Du weißt alles, du errätst alles,
Jura, du bist meine feste Burg und meine Zuflucht und meine Bestätigung, möge
Gott mir die Lästerung verzeihen. Ich bin ja so glücklich! Fahren wir, fahren
wir, mein Lieber. Dort an Ort und Stelle sage ich dir, was mich beunruhigt.«
Er
glaubte, sie spiele auf ihre vermutete Schwangerschaft an, worin sie sich wohl
irrte, und sagte: »Ich weiß.«
An einem
grauen Wintermorgen verließen sie die Stadt. Es war ein Werktag. Die Menschen
waren in ihren Angelegenheiten unterwegs. Mehrfach trafen sie Bekannte.
An den
holperigen Kreuzungen bei den alten Wasserbuden standen Schlangen von Frauen,
die zu Hause keinen Brunnen hatten, Eimer und Tragjoche neben sich, und
warteten, bis sie an der Reihe waren. Doktor Shiwago zügelte Samdewjatows
dahinpreschenden Falben, einen graugelben Wjatkaer mit gekräuseltem Fell, und
lenkte ihn vorsichtig um die wartenden Frauen herum. Der Schlitten glitt auf
dem buckligen, von verschüttetem Wasser vereisten Pflaster der Fahrbahn
seitlich zum Gehsteig und stieß gegen Laternenpfähle und Prellsteine.
In voller
Fahrt holten sie den die Straßen entlanggehenden Samdewjatow ein und sausten
vorüber, ohne sich umzusehen, ob er sie und sein Pferd erkannt habe und ihnen
etwas hinterherrufe. Ein Stück weiter überholten sie ebenso grußlos Komarowski,
von dem sie nun wußten, daß er noch in Jurjatin war.
Glafira
Tunzewa rief vom andern Gehsteig über die Straße: »Die Leute haben erzählt, ihr
wärt schon gestern abgereist. Da soll man ihnen noch glauben. Ihr holt wohl
Kartoffeln?« Sie machte ein Zeichen mit der Hand, daß sie die Antwort nicht
hörte, und winkte ihnen zum Abschied.
Wegen
Serafima versuchten sie auf einer Anhöhe zu halten, die dazu wenig geeignet
war. Shiwago mußte das Pferd ohnehin ständig zügeln. Serafima war von oben bis
unten in Tücher gewickelt, die ihr das Aussehen eines Baumstammes verliehen.
Steifbeinig kam sie zum Schlitten, der mitten auf der Fahrbahn zum Stehen
gekommen war, verabschiedete sich und wünschte ihnen eine glückliche Fahrt.
»Wenn Sie
zurück sind, müssen wir miteinander reden, Juri Andrejewitsch.«
Endlich
fuhren sie aus der Stadt hinaus. Shiwago hatte diese Strecke zwar schon im
Winter zurückgelegt, doch er erinnerte sich hauptsächlich an ihr sommerliches
Aussehen und erkannte sie jetzt nicht wieder.
Die Säcke
mit dem Proviant und das übrige Gepäck waren im Vorderteil des Schlittens tief
ins Heu geschoben und sicher festgebunden worden. Shiwago lenkte das Pferd,
indem er auf dem Boden des breiten Bauernschlittens kniete oder auf dem Seitenbrett
saß, wobei er die Beine in den Filzstiefeln, die er von Samdewjatow bekommen
hatte, herabhängen ließ.
Nach der
Mittagsstunde, als das trügerische winterliche Licht lange vor Sonnenuntergang
den Eindruck erweckte, daß schon der Abend nahte, peitschte Shiwago
unbarmherzig den Falben. Der stürmte pfeilgeschwind dahin. Der Schlitten
schwankte wie ein Boot, wenn er in die Unebenheiten des zerfahrenen Weges
tauchte. Lara und Katenka trugen Pelzmäntel, die sie in
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