Boris Pasternak
hatte Katenka gebadet. Shiwago saß mit dem
wohligen Gefühl der Sauberkeit am Schreibtisch, mit dem Rücken zum Zimmer, wo
Lara, duftend, in einen Bademantel gehüllt, ein Frottierhandtuch als Turban um
die nassen Haare geschlungen, Katenka zu Bett brachte. Shiwago, erfüllt vom
Vorgenuß der konzentrierten Arbeit, nahm alles durch einen Schleier zärtlicher
und allumfassender Aufmerksamkeit wahr.
Es war ein
Uhr nachts, als Lara, die sich bislang schlafend gestellt hatte, wirklich
einschlief. Ihre und Katenkas Leibwäsche und die Bettücher, geplättet und
spitzenverziert, strahlten in reinem Weiß. Lara brachte es selbst in dieser
Zeit fertig, ihre Wäsche zu stärken.
Der Arzt
war umgeben von seligem, glückerfülltem, süß atmendem Leben und von Stille. Das
Lampenlicht fiel in ruhigem Gelb auf das weiße Papier, und in der Tinte im
Tintenfaß schwamm ein goldenes Lichtpünktchen. Vor dem Fenster stand hellblau
die frostige Winternacht. Er ging ins kalte, unbeleuchtete Nebenzimmer, von wo
alles besser zu sehen war, und blickte hinaus. Das Licht des Vollmonds überzog
die verschneite Ebene mit fühlbarer Klebrigkeit wie Eiweiß oder Bleiweiß. Die
Pracht der Frostnacht war unbeschreiblich. In der Seele des Arztes war Frieden.
Er kehrte in das helle, warmgeheizte Zimmer zurück und begann zu schreiben.
Mit
schwungvoller Handschrift, darum besorgt, daß das Geschriebene die lebendige
Bewegung der Hand wiedergab, nicht aber ihren Charakter verlor und stumm und
seelenlos wurde, bemühte er seine Erinnerung, schrieb auf, was er noch
besonders fest im Gedächtnis hatte, und variierte es so, daß die Verse
allmählich immer besser wurden, »Stern der Geburt«, »Winternacht« und eine
Anzahl ähnlicher Gedichte, die später in Vergessenheit gerieten, verlorengingen
und nicht mehr aufgefunden wurden.
Von den
ausgereiften und vollendeten Gedichten kam er zu begonnenen, die er später
aufgegeben hatte, fand sich in ihren Ton wieder hinein und entwarf
Fortsetzungen, ohne die geringste Hoffnung, sie jetzt vollenden zu können. Dann
geriet er in Fahrt, ließ sich hinreißen und ging zu Neuem über.
Nach zwei
oder drei Strophen, die ihm leicht aus der Feder flössen, und etlichen
Vergleichen, die ihn selber überraschten, nahm ihn die Arbeit gänzlich
gefangen, und er spürte das Nahen dessen, was man Inspiration nennt. Das
Zusammenwirken der Kräfte, die das schöpferische Schreiben lenken, stellt sich
gleichsam auf den Kopf. Den Vorrang hat nicht mehr der Mensch mit seiner
seelischen Verfassung, für die er den Ausdruck sucht, sondern die Sprache, mit
der er ihn ausdrücken möchte. Die Sprache, Heimat und Gefäß der Schönheit und
des Sinns, beginnt von selbst für den Menschen zu denken und zu sprechen und
wird Musik, nicht als äußerer lautlicher Klang, sondern als schnelles und
mächtiges inneres Strömen. Dann schafft die Sprache wie ein sich dahinwälzender
gewaltiger Strom, der durch seine Bewegung die Steine am Grunde rund schleift
und Mühlräder treibt, durch die Kraft ihrer Gesetze wie nebenbei Metrik und
Reime und Tausende andere Formen und Bildungen, die noch wichtiger sind,
bislang aber nicht erkannt, nicht benutzt, nicht benannt wurden.
In solchen
Momenten spürte Shiwago, daß die Hauptarbeit nicht er selbst tat, sondern
etwas, was über ihm stand und ihn leitete: der Zustand des Weltdenkens und der
Weltpoesie, ihre vorbestimmte Zukunft und der nächstfolgende Schritt, den sie
in ihrer historischen Entwicklung tun mußte. Und er fühlte sich nur als Anlaß
und Stützpunkt dafür, daß sie in Bewegung käme.
Er wurde
frei von den Selbstvorwürfen, von der Unzufriedenheit mit sich selbst, und das
Gefühl der eigenen Nichtigkeit verließ ihn für einige Zeit. Er sah sich um,
blickte in die Runde.
Er sah die
Köpfe von Lara und Katenka, die auf den schneeweißen Kissen schliefen. Die
Reinheit der Wäsche, die Reinheit der Zimmer, die Reinheit ihrer Umrisse verschmolz
mit der Reinheit der Nacht, des Schnees, der Sterne und des Mondes zu einer
einzigen Woge, die durch sein Herz ging und ihn frohlocken und weinen ließ aus
dem Gefühl der triumphierenden Reinheit des Daseins.
O Gott! O
Gott! hätte er am liebsten geflüstert. Und das alles mir! Wofür soviel für
mich? Wie hast du mich zu dir gelassen, wie hast du mir erlaubt, deine
unendlich kostbare Erde zu betreten, mich unter diese deine Sterne zu
verlaufen, zu den Füßen dieser unbesonnenen, ergebenen, unglücklichen,
teuersten Frau?
Es war
drei Uhr
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