Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
Vom Netzwerk:
nachts, als Shiwago den Blick vom Tisch und vom Papier hob. Aus der
entrückten Konzentration, in der er völlig aufgegangen war, kehrte er zurück
zu sich, in die Wirklichkeit, glücklich, stark, ruhig. Plötzlich hörte er im
Schweigen der fernen Räume, die sich vor dem Fenster erstreckten, einen
traurigen, wehmütigen Laut.
    Er ging in
das dunkle Nebenzimmer, um von dort aus dem Fenster zu schauen. In den Stunden,
die er mit Schreiben verbracht hatte, waren die Scheiben stark bereift und
undurchsichtig geworden. Er zog den zusammengerollten Teppich weg, der vor der
Außentür lag, damit es nicht hereinzog, warf den Pelzmantel über die Schultern
und trat auf die Vortreppe.
    Das weiße
Feuer des Mondlichts auf dem schattenlosen Schnee blendete ihn. Zunächst konnte
er nichts sehen und nichts erkennen. Bald darauf aber hörte er ein durch die
Entfernung geschwächtes, langgedehntes, winselndes Heulen, und da sah er am
Rande der Lichtung jenseits der Schlucht vier Schatten, nicht größer als ein
kleiner Strich.
    Die Wölfe
standen nebeneinander, die Schnauzen dem Hause zugewandt, die Köpfe
hocherhoben, sie heulten den Mond an oder die silbrig schimmernden Fenster des
Mikulizyn-Hauses. Ein paar Augenblicke blieben sie unbeweglich, doch kaum
hatte Shiwago begriffen, daß es Wölfe waren, trippelten sie wie Hunde, das
Hinterteil gesenkt, weg von der Lichtung, als hätten die Gedanken des Arztes
sie erreicht. Shiwago konnte nicht einmal feststellen, in welcher Richtung sie
sich entfernt hatten.
    Scheußliche
Neuigkeit! dachte er. Das hat uns gerade noch gefehlt. Womöglich haben die hier
ganz in der Nähe ihr Lager? Vielleicht sogar in der Schlucht? Schrecklich! Und
wir haben auch noch Samdewjatows Falben im Stall. Bestimmt haben sie das Pferd
gewittert.
    Er
beschloß, Lara vorläufig nichts davon zu erzählen, um sie nicht zu ängstigen,
ging wieder hinein, verschloß die Außentür, machte die Zwischentür zu, die die
kalte Hälfte des Hauses von der warmen trennte, verstopfte die Ritzen und
Öffnungen und setzte sich an den Schreibtisch.
    Die Lampe
brannte hell und freundlich wie zuvor. Aber er hatte keine Lust mehr zum
Schreiben. Er fand keine Ruhe. Nur noch die Wölfe und die anderen drohenden
Schwierigkeiten geisterten in seinem Kopf. Er war auch müde. In diesem Moment
erwachte Lara.
    »Du
brennst und leuchtest immerzu, mein reines Licht!« sagte sie leise mit
feuchter, vom Schlaf belegter Stimme. »Setz dich für einen Moment zu mir. Ich
will dir erzählen, was ich geträumt habe.«
    Er löschte
die Lampe.
     
    Ein
weiterer Tag verging in stiller Entrücktheit. Im Hause fand sich ein Kinderschlitten.
Shiwago hatte im Hof einen Eisberg errichtet, indem er Schnee häufte, mit dem
Spaten festklopfte und mit Wasser begoß. Von diesem Hügel rodelte Katenka im
Pelzmäntelchen, rot im Gesicht, laut lachend hinunter auf die ungefegten Wege.
    Unermüdlich
stieg sie immer wieder mit erstarrtem Lächeln hinauf, zog den Schlitten an der
Leine hinter sich her.
    Der Frost
hatte spürbar zugenommen. Draußen schien die Sonne. Der Schnee schimmerte gelb
unter ihren mittäglichen Strahlen, und in das Messinggelb floß wie ein süßer
Bodensatz das apfelsinenfarbene Licht des früh anbrechenden Abends.
    Nach dem
gestrigen Waschen und Baden war das Haus voller Feuchtigkeit. Lockerer Reif
überzog die Fenster, und über die vom Dampf feuchten Tapeten liefen von der
Decke zum Fußboden schwarze Tropfen. Die Zimmer waren dunkel und ungemütlich.
Shiwago schleppte Holz und Wasser und setzte die unterbrochene Durchsuchung des
Hauses fort, wobei er immer wieder Entdeckungen machte. Er half Lara bei den
Hausarbeiten, die sie vom Morgen an unablässig in Anspruch nahmen.
    Mitten in
irgendeiner Arbeit berührten sich ihre Hände und verschränkten sich, der
schwere Gegenstand, den sie gemeinsam heben wollten, sank zurück auf den Fußboden,
und eine benebelnde, unüberwindliche Zärtlichkeit machte sie waffenlos. Wieder
fiel ihnen alles aus den Händen, flog ihnen alles aus dem Kopf. Abermals verstrichen
Minuten, fügten sich zu Stunden, und es wurde spät, und beiden wurde mit
Schrecken bewußt, daß sie Katenka ganz vergessen hatten, auch das ungefütterte
und ungetränkte Pferd, da stürmten sie Hals über Kopf los, um das Versäumte
nachzuholen, den Schaden wiedergutzumachen, und sie litten an Gewissensbissen.
    Shiwago,
unausgeschlafen, hatte Kopfschmerzen. In seinem Kopf war ein süßer Nebel, als
wäre er beschwipst, und seinen

Weitere Kostenlose Bücher