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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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durch den
unendlichen Raum der Steppe, und Shiwago sah ihn in der Ferne immer kleiner
werden. Er schrieb mit fieberhafter Eile, kam kaum nach mit den Wörtern und
Zeilen, die ihm nur so zuströmten.
    Er merkte
gar nicht, daß Lara aufgestanden und zu ihm an den Schreibtisch getreten war.
Sie kam ihm in ihrem fußlangen Nachthemd dünn und mager vor und größer, als sie
war. Er zuckte vor Überraschung zusammen, als sie auf einmal bleich,
erschrocken neben ihm stand, den Arm nach ihm ausstreckte und flüsternd fragte:
»Hörst du? Ein Hund heult. Zwei sogar. Ach, ich habe Angst, das ist ein böses
Vorzeichen. Wir werden bis zum Morgen aushalten, dann fahren wir. Keine Minute
länger will ich hierbleiben.«
    Eine
Stunde später, nachdem er ihr lange zugeredet und sie sich beruhigt hatte,
schlief sie wieder ein. Der Arzt trat auf die Vortreppe. Die Wölfe waren näher
als in der vorigen Nacht und verschwanden noch schneller. Wieder konnte er
nicht erkennen, wohin sie gelaufen waren. Im Rudel hatten sie dagestanden, und
er hatte sie nicht zählen können. Aber er hatte den Eindruck, daß es mehr geworden
waren.
     
    Der
dreizehnte Tag ihres Aufenthalts in Warykino brach an, und er unterschied sich
nicht von den vorangegangenen. Am vorherigen Abend hatten erneut die Wölfe geheult,
die in der Mitte der Woche verschwunden waren. Lara, die sie für Hunde hielt
und ein böses Vorzeichen in ihnen sah, beschloß wieder einmal, am nächsten Tag
abzureisen. Zustände inneren Gleichgewichts wechselten bei ihr mit Anfällen
schwermütiger Unruhe, was ganz natürlich war bei einer Frau wie ihr, die die
Arbeit liebte und nicht gewöhnt war an ganztägige Herzensergüsse und den
müßigen, unstatthaften Luxus übermäßiger Zärtlichkeiten.
    Alles
wiederholte sich, und als sie an diesem Morgen in der zweiten Woche wieder, wie
schon so oft, zur Abreise rüsten wollte, hätte man denken können, daß die
anderthalb Wochen zwischendurch nicht gewesen wären.
    Wieder war
es feucht und dunkel in den Zimmern, denn es war ein grauer, düsterer Tag. Der
Frost hatte nachgelassen, und von dem finsteren Himmel, den niedrige Wolken
verhängten, konnte jeden Moment Schnee fallen. Seelische und körperliche
Müdigkeit hatte Shiwago infolge des wenigen Schlafs stark mitgenommen. Seine
Gedanken verwirrten sich, seine Kräfte waren angeschlagen, er fror heftig vor
Schwäche, duckte sich fröstelnd, rieb sich die kalten Hände, ging durch das
ungeheizte Zimmer und wußte nicht, was Lara beschließen und was er demzufolge
würde in Angriff nehmen müssen.
    Ihre
Absichten waren unklar. Sie würde jetzt das halbe Leben dafür gegeben haben,
daß sie beide nicht so chaotisch frei wären, sondern sich irgendeiner strengen,
doch ein für allemal festgelegten Ordnung hätten fügen müssen — zur Arbeit
gehen, Pflichten haben, vernünftig und ehrlich leben.
    Sie begann
den Tag wie üblich damit, daß sie die Betten machte, die Zimmer aufräumte und
fegte und dem Arzt und Katenka Frühstück bereitete. Danach begann sie zu packen
und bat Shiwago, das Pferd anzuspannen. Ihr Entschluß zur Abreise stand
unerschütterlich fest.
    Er
versuchte nicht, es ihr auszureden. Auf dem Höhepunkt der Verhaftungswelle in
die Stadt zurückzukehren, die sie erst kürzlich verlassen hatten, war heller
Wahnsinn. Aber es war kaum vernünftiger, ohne Waffen hierzubleiben in der
winterlichen Einöde, in der es gleichfalls von Gefahren wimmelte.
    Hinzu kam,
daß das Heu, das Shiwago aus den Scheunen der Nachbarschaft zusammengekratzt
hatte, zur Neige ging und weiteres nicht aufzutreiben war. Gewiß, wäre es
möglich gewesen, sich hier auf Dauer niederzulassen, so würde er die weitere
Umgebung abgesucht und sich um die Ergänzung der Vorräte an Lebensmitteln und
Pferdefutter gekümmert haben. Wegen eines kurzen und fraglichen Aufenthalts
aber lohnten solche Erkundungsgänge nicht. Shiwago machte eine wegwerfende
Handbewegung und ging das Pferd anspannen.
    Er stellte
sich ungeschickt an. Samdewjatow hatte es ihm gezeigt, doch er hatte es
vergessen. Seine ungeübten Hände taten jedoch das Notwendige. Das metallbeschlagene
Ende des Riemens, der das Krummholz mit der Gabeldeichsel verband, befestigte
er am Ende einer der beiden Deichseln, indem er es ein paarmal herumwickelte,
dann stemmte er dem Pferd den Fuß in die Seite, zog die Enden des Krummholzes
zusammen, verrichtete auch noch alles übrige, führte dann das Pferd zur
Vortreppe, band es fest und ging hinein, um Lara zu

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