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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Monaten, nachdem andere Unterschlupfe
weit im Osten aufgeflogen sind. Man wollte mich auf Grund einer Verleumdung
vors Kriegsgericht stellen. Der Ausgang war leicht vorauszusehen. Ich war mir
keiner Schuld bewußt. Ich hatte die Hoffnung, mich später, unter günstigeren
Voraussetzungen, rechtfertigen zu können und meinen guten Namen
wiederherzustellen. Darum mußte ich rechtzeitig vor der Verhaftung verschwinden
und mich eine Zeitlang verstecken, umherziehen, den Einsiedler spielen.
Vielleicht hätte ich mich auch gerettet, aber ein junger Spitzbube, der sich in
mein Vertrauen geschlichen hatte, hat mich hereingelegt.
    Ich bin im
Winter zu Fuß durch Sibirien nach Westen gegangen, habe mich versteckt,
gehungert, mich in Schneewehen gewühlt, in zugeschneiten Zügen übernachtet,
die damals in unendlichen Reihen auf der sibirischen Magistrale standen.
    Meine
Wanderungen führten mich mit einem jugendlichen Vagabunden zusammen, der
angeblich bei einer Erschießung durch die Partisanen überlebt hatte. Er sagte
mir, er sei unter den Toten hervorgekrochen, habe lange gelegen, sei wieder
gesund geworden und dann von einem Versteck zum nächsten gewandert wie ich.
Jedenfalls hat er es so erzählt. Er taugte nichts, dieser Halbwüchsige, er war
verdorben, rückständig, ein sitzengebliebener Realschüler, den sie wegen
Unfähigkeit von der Schule gejagt hatten.«
    Je
ausführlicher Strelnikow erzählte, desto genauer erkannte Juri Shiwago den
Jungen.
    »Hieß er
vielleicht Terescha Galusin?«
    »Ja.«
    »Dann
stimmt das mit der Erschießung durch die Partisanen. Er hat es sich nicht
ausgedacht.«
    »Das
einzig Gute an dem Jungen war, daß er seine Mutter bis zum Wahnsinn liebte.
Sein Vater war bei einer Geiselverhaftung verschütt gegangen. Er wußte, daß
seine Mutter im Gefängnis war und das Los seines Vaters teilte, und war zu
allem entschlossen, um sie freizubekommen. Darum ging er zur Kreis-Tscheka, um
ein Schuldgeständnis abzulegen und seine Dienste anzubieten, und dort waren sie
auch bereit, ihm alle Sünden zu vergeben, wenn er dafür irgendeine große Sache
aufdeckte. Da verriet er ihnen, wo ich mich versteckte. Es gelang mir aber,
rechtzeitig abzuhauen.
    Unter
sagenhaften Anstrengungen und Tausenden von Abenteuern bin ich durch Sibirien
gezogen und in diese Gegend gekommen, wo man weiß, daß ich geächtet bin, und
mich am wenigsten suchen wird, weil man mir eine solche Frechheit nicht
zutraut. Und wirklich, sie haben noch lange in der Gegend von Tschita nach mir
gefahndet, während ich mich schon hier verkrochen hatte, mal in diesem Haus, mal
in anderen Unterschlupfen in der Umgebung. Aber jetzt ist Schluß. Sie haben
mich auch hier aufgespürt. Hören Sie, es wird schon dunkel. Bald ist die Stunde
da, die ich nicht mag, weil ich schon seit langem nicht mehr schlafen kann. Sie
wissen, was für eine Qual das ist. Wenn Sie noch nicht alle meine Kerzen
verbraucht haben - sie sind schön, die Stearinkerzen, stimmt es nicht? -,
lassen Sie uns noch ein Weilchen plaudern. Wir wollen uns unterhalten, solange
Sie dazu imstande sind, mit allem Luxus, die ganze Nacht, bei Kerzenschein.«
    »Die
Kerzen sind alle noch da. Eine einzige Packung ist angebrochen. Ich habe
Petroleum benutzt.«
    »Haben Sie
Brot?«
    »Nein.«
    »Wovon
haben Sie denn gelebt? Aber ich rede dummes Zeug. Von Kartoffeln. Ich weiß es
ja.«
    »Ja. Davon
sind genug vorhanden. Die Leute hier waren erfahren und vorsorglich. Sie
wußten, wie man Kartoffeln einmietet. Der Keller ist voll. Sie sind nicht
angefault oder angefroren.«
    Plötzlich
kam Strelnikow auf die Revolution zu sprechen.
     
    »All das
ist nichts für Sie. Sie können das nicht verstehen. Sie sind anders
aufgewachsen. Da war die Welt des Stadtrands, der Bahngleise und der
Arbeiterkasernen. Schmutz, Enge, Armut, Verhöhnung des werktätigen Menschen,
Verhöhnung der Frau. Und da war die lachende, ungestrafte Dreistigkeit der
Ausschweifung, da waren die Muttersöhnchen, die adligen Studenten und die
Kaufmannssprößlinge. Mit Scherzen oder mit verächtlicher Gereiztheit setzten
sie sich über die Tränen und Klagen der erniedrigten, getäuschten Habenichtse
hinweg. Welch eine Olympiade der Nichtstuer, die nur dadurch bemerkenswert
waren, daß sie sich nichts abverlangten, nichts suchten, der Welt nichts
gaben, nichts hinterließen!
    Wir
dagegen faßten das Leben als einen militärischen Feldzug auf, wir schufteten wie
wild für die, die wir liebten. Und obwohl wir ihnen nichts brachten

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