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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ihretwillen wurde ich Lehrer
und fuhr in dieses mir damals noch unbekannte Jurjatin. Ich habe einen Berg
Bücher verschlungen und eine Unmasse Wissen erworben, um ihr nützlich zu sein
und ihr zur Verfügung zu stehen, wenn sie meine Hilfe brauchte. Ich ging in den
Krieg, um sie nach drei Jahren Ehe neu zu erobern. Nach dem Krieg und meiner
Rückkehr aus der Gefangenschaft habe ich den Umstand, daß man mich für gefallen
hielt, dazu benutzt, unter fremdem Namen ganz in der Revolution aufzugehen, um
all das heimzuzahlen, was sie durchlitten hatte, um die traurigen Erinnerungen
radikal wegzuwaschen, damit es keine Rückkehr zur Vergangenheit mehr geben
konnte, damit die Twerskije-Jamskije-Straßen nicht mehr existierten. Und die
beiden, sie und die Tochter, waren ganz in der Nähe, waren hier! Was hat es
mich für Kraft gekostet, den Wunsch zu unterdrücken, zu ihnen zu eilen und sie
zu sehen! Aber ich wollte zunächst meine Lebensaufgabe zu Ende führen. Was
würde ich jetzt nicht dafür geben, sie noch einmal sehen zu können. Wenn sie
ins Zimmer kam, war es, als wäre das Fenster geöffnet worden und das Zimmer
hätte sich mit Licht und Luft gefüllt.«
    »Ich weiß,
wie teuer sie Ihnen war. Aber wenn ich fragen darf, haben Sie eine
Vorstellung, wie sehr sie Sie geliebt hat?«
    »Verzeihung,
was haben Sie gesagt?«
    »Ich sage,
können Sie sich vorstellen, wie teuer Sie ihr waren? Teurer als alles auf der
Welt.«
    »Woher
wissen Sie das?«
    »Sie hat
es mir selbst gesagt.«
    »Sie?
Ihnen?«
    »Ja.«
    »Entschuldigen
Sie, ich verstehe ja, daß meine Bitte kaum zu erfüllen ist, aber wenn Ihre
Zurückhaltung es erlaubt und Sie die Kraft aufbringen, dann erzählen Sie mir
bitte möglichst genau, was sie Ihnen gesagt hat.«
    »Sehr
gern. Sie nannte Sie das Musterbild eines Menschen, wie sie ihn sonst nirgends
gesehen hatte, einzigartig in seiner Natürlichkeit, und sie sagte, wenn
irgendwo noch einmal in weiter Ferne nur die Vision des Hauswesens erschiene,
das sie einst mit Ihnen teilte, würde sie auf den Knien dorthin rutschen, und
wenn es ans Ende der Welt wäre.«
    »Entschuldigen
Sie, wenn das nicht etwas für Sie Unantastbares berührt, versuchen Sie sich zu
erinnern, wann und unter welchen Umständen sie Ihnen das gesagt hat.«
    »Sie
räumte gerade dieses Zimmer auf. Dann ging sie hinaus an die Luft, um den
Teppich auszuschütteln.«
    »Entschuldigen
Sie, welcher war das? Hier sind zwei.«
    »Der
größere da.«
    »Das
konnte sie allein nicht schaffen. Sie haben ihr geholfen?«
    »Ja.«
    »Sie haben
die beiden Enden des Teppichs festgehalten, sie hat sich zurückgelehnt wie auf
der Schaukel, den Teppich mit beiden Händen hochgeschwungen, sich von dem
Staub abgewandt, die Augen zugekniffen und gelacht, stimmt es nicht? Wie ich
ihre Gewohnheiten kenne! Dann sind Sie aufeinander zugegangen, haben den
schweren Teppich einmal, zweimal zusammengelegt, sie hat gescherzt und
allerlei Spaße gemacht, stimmt es nicht? Stimmt es nicht?«
    Sie
standen von ihren Plätzen auf, traten an verschiedene Fenster und blickten in
verschiedene Richtungen. Nach einigem Schweigen ging Strelnikow auf Shiwago zu,
ergriff dessen Hände, drückte sie an seine Brust und sprach hastig wie zuvor weiter:
»Entschuldigen Sie, ich weiß, daß ich Dinge berühre, die Ihnen heilig und
kostbar sind. Aber wenn ich darf, möchte ich Sie noch weiter ausfragen. Gehen
Sie nicht weg, lassen Sie mich nicht allein. Bald gehe ich selber weg. Bedenken
Sie, sechs Jahre Trennung, sechs Jahre unvorstellbarer Selbstbeherrschung. Aber
ich habe geglaubt, die Freiheit noch nicht ganz erobert zu haben. Ich wollte
erst einmal sie gewinnen, um dann ganz den Meinen zu gehören und ungebunden zu
sein. Alle meine Vorstellungen sind jedoch zusammengebrochen. Morgen werden sie
mich ergreifen. Sie sind ein Mensch, der ihr nahesteht. Vielleicht sehen Sie
sie irgendwann wieder. Doch nein, um was will ich Sie bitten? Das ist ja
Wahnsinn. Sie werden mich ergreifen und mir keine Gelegenheit geben, mich zu
rechtfertigen, sondern sich auf mich stürzen und mir mit Drohgeschrei und
Schimpfreden den Mund verschließen. Wer wüßte besser als ich, wie das gemacht
wird?«
     
    Endlich
würde er sich richtig ausschlafen. Zum erstenmal seit langem schlief Shiwago
ein, kaum daß er sich im Bett ausgestreckt hatte. Strelnikow blieb über Nacht.
Shiwago hatte ihn im Nebenzimmer untergebracht. In den kurzen Augenblicken, in
denen er wach wurde, um sich auf die andere Seite zu drehen oder

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