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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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die
herabgeglittene Decke hochzuziehen, spürte er die kräftigende Macht seines
gesunden Schlafs und schlummerte mit Genuß wieder ein. In der zweiten
Nachthälfte hatte er kurze, rasch wechselnde Träume, die in seiner Kindheit
spielten, mit klaren und üppigen Einzelheiten, so daß er sie leicht für
Wirklichkeit halten konnte.
    Beispielsweise
geschah in seinem Traum, daß ein Aquarell seiner Mutter, das eine italienische
Küstenlandschaft darstellte, plötzlich von der Wand fiel. Das Splittern des
Glases weckte ihn. Er öffnete die Augen. Nein, das war etwas anderes.
Wahrscheinlich war es Antipow, Laras Mann, Pawel Pawlowitsch, der sich jetzt
Strelnikow nannte, der in der Schutma-Schlucht schon wieder, wie Wakch gesagt
hatte, die Wölfe erschreckte. Doch nein, so ein Quatsch. Natürlich war das Bild
von der Wand gefallen. Da lag es ja zerschlagen auf dem Boden, wie er sich, in
den weitergehenden Traum zurückgekehrt, vergewisserte.
    Er
erwachte mit Kopfschmerzen, weil er zu lange geschlafen hatte. Nicht sofort
wußte er, wer und in welcher Welt er war.
    Plötzlich
fiel ihm ein: Strelnikow übernachtet ja bei mir. Es ist schon spät. Ich muß
mich anziehen. Bestimmt ist er schon aufgestanden; wenn nicht, wecke ich ihn,
koche Kaffee, und wir frühstücken. »Pawel Pawlowitsch!«
    Keine
Antwort. Also schläft er noch. Dann hat er aber einen festen Schlaf! Shiwago
zog sich ohne Eile an und ging ins Nebenzimmer. Auf dem Tisch lag Strelnikows
Militärpapacha, er selbst war nicht da. Wahrscheinlich geht er spazieren,
dachte der Arzt. Noch dazu ohne Mütze. Er härtet sich ab. Dabei wollte ich
heute endgültig von Warykino weg in die Stadt. Zu spät. Ich habe wieder
verschlafen. So geht das jeden Morgen.
    Shiwago
machte Feuer im Herd, nahm den Eimer und ging zum Brunnen. Ein paar Schritte
von der Vortreppe lag quer zum Weg, den Kopf im Schnee, Pawel Pawlowitsch. Er
hatte sich erschossen. Der Schnee unter seiner linken Schläfe war zu einem
roten Klumpen zusammengebacken, der in einer Blutlache lag. Weggespritzte
kleine Blutstropfen hatten sich im Schnee zu roten Kügelchen gerollt, die wie
gefrorene Vogelbeeren aussahen.
     
    Fünfzehnter Teil
     
    Schluß
     
    Sie muß
nun zu Ende erzählt werden, die einfache Geschichte der letzten acht oder neun
Lebensjahre Juri Shiwagos, in denen er immer mehr abbaute und herunterkam,
seine Kenntnisse und Fertigkeiten als Arzt wie auch als Schriftsteller
einbüßte, kurzfristig aus dem Zustand von Depression und Verfall herausfand,
lebhaft und tätig wurde und nach diesem kurzen Aufflackern wieder in anhaltende
Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst und allem auf der Welt verfiel. In
diesen Jahren verschlimmerte sich sein altes Herzleiden, das er schon früher
bei sich selbst diagnostiziert hatte, von dessen Schwere er jedoch keine
Vorstellung besaß.
    Zu Beginn
der NOP, der zweideutigsten und verlogensten aller sowjetischen Perioden, kam
er nach Moskau, noch abgemagerter, struppiger und verwilderter als während
seiner Wanderung aus der Gefangenschaft der Partisanen nach Jurjatin.
Unterwegs hatte er nach und nach wieder alles, was einigen Wert besaß, von sich
getan und gegen Brot und irgendwelche Lumpen getauscht, um nicht nackt zu sein.
So hatte er abermals einen Pelzmantel und einen Anzug aufgegessen und zeigte
sich in den Moskauer Straßen mit einer grauen Papacha auf dem Kopf, die Beine
mit irgendwelchem Zeug umwickelt und in einem verwetzten Soldatenmantel, von
dem sämtliche Knöpfe abgetrennt waren, so daß er wie ein Sträflingskittel
aussah. In dieser Aufmachung unterschied er sich nicht von den zahllosen
Rotarmisten, deren Mengen die Plätze, Boulevards und Bahnhöfe der Hauptstadt
überschwemmten.
    Als er in
Moskau ankam, war er nicht allein. Ihm folgte stets ein schöner Bauernjunge,
gleichfalls in Soldatensachen gekleidet. In diesem Aufzug besuchten sie die
noch bestehenden Moskauer Salons, in denen sich seine Kindheit abgespielt
hatte, wo man sich seiner entsann und ihn samt seinem Begleiter aufnahm,
nachdem man sich taktvoll erkundigt hatte, ob sie nach der Reise schon im
Dampfbad gewesen seien, denn der Flecktyphus grassierte noch immer. Und wo man
ihm gleich in den ersten Tagen von der Abreise seiner Angehörigen ins Ausland
erzählte.
    Beide
gingen den Menschen aus dem Weg, und aus übertriebener Scheu vermieden sie es,
allein Besuche zu machen, denn allein konnte man nicht schweigen und mußte sich
am Gespräch beteiligen. Gewöhnlich zeigten sich die beiden

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