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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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zu
schnell war dieser geneigt, die Flinte ins Korn zu werfen, und gar zu
überzeugt und beinahe mit Genugtuung erklärte er alle weiteren Versuche für
sinnlos.
    Immer
öfter hatte Wassja an Shiwago etwas auszusetzen. Dieser nahm dem Jungen seine
berechtigten Tadel nicht übel. Aber sein Verhältnis zu Wassja war gestört.
Schließlich ging die Freundschaft in die Brüche, und die beiden trennten sich.
Der Arzt überließ Wassja das Zimmer, das sie gemeinsam bewohnt hatten, und zog
in das Mehlstädtchen, wo der allmächtige Markel ihm die hinteren Räume der
ehemaligen Wohnung der Swentizkis gab. Dieser Teil der Wohnung bestand aus dem
unbenutzbaren Badezimmer, einem einfenstrigen Raum daneben und der schiefen
Küche mit dem Hintereingang, der sich gesenkt hatte und halb eingestürzt war.
Hier zog Shiwago ein, gab die Medizin auf, wurde zu einem Schmutzfink, traf
sich nicht mehr mit Bekannten und geriet in Armut.
     
    Es war ein
grauer Wintersonntag. Der Rauch aus den Ofen stieg nicht in Säulen über den
Dächern auf, sondern rieselte in schwarzen Strömchen aus den Lüftungsklappen
der Fenster, durch die noch immer ungeachtet des Verbots die Blechrohre der
Ofchen hinausgeführt wurden. Der städtische Alltag funktionierte noch nicht
wieder. Die Bewohner des Mehlstädtchens liefen ungewaschen und schmuddelig
herum, litten an Furunkulose, froren und erkälteten sich immer aufs neue.
    Weil
Sonntag war, hatte sich Markel Stschapows Familie versammelt.
    Die
Stschapows aßen an demselben Tisch zu Mittag, auf dem in den Zeiten der
Rationierung frühmorgens die Brotmarken aller Mieter abgeschnitten, sortiert,
gezählt und nach Kategorien in Läppchen oder Papier gewickelt wurden, dann
brachte man die Marken zur Bäckerei, und nach der Rückkehr von dort wurde das
Brot geschnitten und für die Mieter portioniert. All das war jetzt nur noch
Erinnerung. Die Lebensmittelrationierung war durch andere Kontrollformen
ersetzt worden. Die Familie an dem langen Tisch aß mit Appetit, so daß es
hinter den Ohren knackte, sie kaute und schmatzte.
    Die Hälfte
der Hausmeisterwohnung nahm der in der Mitte stehende breite russische Ofen
ein, von dessen oberer Kante der Rand einer Steppdecke herabhing.
    Aus der
Wand neben dem Eingang ragte über dem Ausguß das Ende der Wasserleitung. An
den Seitenwänden der Wohnung standen Bänke, unter denen in Säcken und Truhen
alle möglichen Habseligkeiten verwahrt lagen. Links stand ein Küchentisch.
Darüber hing an der Wand ein Geschirrschränkchen.
    Der Ofen
war geheizt. In der Wohnung war es sehr warm. Vor dem Ofen stand, die Ärmel bis
zu den Ellbogen hochgekrempelt, Markeis Frau Agafja Tichonowna und rückte mit
dem langstieligen Topfgreifer die Töpfe im Ofen bald dichter aneinander, bald
lockerer auseinander, je nach Notwendigkeit. Ihr schweißiges Gesicht wurde
wechselweise von der Ofenglut beleuchtet und vom Dampf der kochenden Suppe
verhüllt. Nachdem sie die Töpfe beiseite geschoben hatte, zog sie aus der Tiefe
einen Kuchen auf einem Blech heraus, wendete ihn mit einem Schwung, so daß die
obere Kruste nach unten zu liegen kam, und schob ihn für kurze Zeit wieder
hinein, damit auch die andere Seite braun würde. Shiwago kam mit zwei Eimern
herein.
    »Wünsche
wohl zu speisen.«
    »Herzlich
willkommen. Setz dich, sei unser Gast.«
    »Danke,
ich habe schon zu Mittag gegessen.«
    »Das
kennen wir schon. Setz dich hin und iß was Warmes. Hab dich nicht so.
Gebackene Kartoffeln im Steintopf. Pastete mit Grütze. Griesbrei.«
    »Nein, ich
danke wirklich. Entschuldige, Markel, daß ich so oft komme und dir Kälte in die
Wohnung bringe. Ich möchte mir möglichst viel Wasser auf Vorrat holen. Ich habe
die Zinkwanne der Swentizkis blank geputzt, die will ich voll machen, auch alle
anderen Gefäße. Fünfmal, vielleicht auch zehnmal schau ich noch rein, dann hast
du eine Weile vor mir Ruhe. Entschuldige bitte, ich wüßte nicht, wo ich sonst
Wasser herholen sollte.«
    »Nimm dir
nur, es ist mir nicht schade darum. Sirup habe ich nicht, aber Wasser, soviel
du willst. Du kriegst es umsonst. Ich verlang nichts dafür.«
    Die
Familie am Tisch lachte.
    Als
Shiwago das dritte Mal kam, um den fünften und sechsten Eimer zu füllen, verlief
das Gespräch schon in etwas anderem Ton.
    »Die
Schwäger fragen, wer du bist. Ich hab's ihnen gesagt, sie wollen's nicht
glauben. Nimm dir nur Wasser, keine Hemmungen. Aber verschütte es nicht auf den
Fußboden, du Tolpatsch. Da, die Schwelle ist schon naß.

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