Boris Pasternak
müssen.«
»Ich denke
mir, ich möchte studieren.«
»Versteht
sich.«
»Ich habe
einen Traum. Ich möchte meine Mutter aus der Erinnerung zeichnen.«
»Sehr gut.
Aber dazu mußt du zeichnen können. Hast du es schon einmal versucht?«
»Auf dem
Apraxin-Hof, wenn's der Onkel nicht gesehen hat, hab ich mit Kohle probiert.«
»Na schön,
dann viel Glück. Wir wollen's versuchen.«
Eine
besondere Begabung zum Zeichnen hatte Wassja nicht, aber es reichte hin, sich
in der angewandten Kunst zu versuchen. Mit Hilfe von Bekannten brachte Shiwago
ihn in der allgemeinbildenden Abteilung der ehemaligen Stroganow-Schule unter,
von wo er an die polygraphische Fakultät überwechselte. Hier studierte er die
Technik der Lithographie, Buchdruck und Buchbinderei wie auch die Kunst der
Buchillustration.
Doktor
Shiwago und Wassja vereinigten ihre Bemühungen. Der Arzt schrieb kleine Bücher
vom Umfang eines Verlagsbogens über die verschiedensten Themen, und Wassja
druckte sie in seiner Hochschule, wo sie ihm als Examensarbeiten angerechnet
wurden. Die Bücher, die nur in wenigen Exemplaren erschienen, wurden in den
neueröffneten, von gemeinsamen Bekannten betriebenen Antiquariaten verkauft.
Diese
Büchlein enthielten Shiwagos Philosophie, eine Darlegung seiner medizinischen
Erkenntnisse, seine Definition von Gesundheit und Krankheit, seine Gedanken zu
Transformismus und Evolution wie auch zur Persönlichkeit als der biologischen
Grundlage des Organismus, Betrachtungen zur Geschichte und Religion, die mit
denen seines Onkels und Serafima Tunzewas nahezu übereinstimmten, Skizzen über
die Stätten Pugatschows, die der Arzt besucht hatte, sowie eigene Gedichte und
Erzählungen.
Diese
Arbeiten waren leicht verständlich, in Dialogform geschrieben, aber sie waren
weit entfernt von den Zielen, die Popularisatoren sich stellten, denn sie
enthielten strittige, eigenwillige Ansichten, die unzureichend überprüft waren,
doch sie lasen sich stets lebendig und originell. Die Bücher wurden gekauft,
Liebhaber wußten sie zu schätzen.
Um diese
Zeit wurde alles zum Spezialistenberuf, das Dichten etwa oder die Kunst der
schöngeistigen Übersetzung, über alles wurden theoretische Abhandlungen geschrieben,
für alles Institute gegründet. Es entstanden alle möglichen Paläste des Denkens
und Akademien künstlerischer Ideen. Bei der Hälfte dieser aufgeblähten
Institutionen war Doktor Shiwago als Arzt angestellt. Er und Wassja lebten
lange als gute Freunde zusammen. Sie wechselten häufig Zimmer und halb zerfallene
Winkel, die aus verschiedenen Gründen kaum bewohnbar waren.
Gleich
nach der Ankunft in Moskau hatte Shiwago sein einstiges Haus in Siwzew Wrashek
aufgesucht, in dem seine Angehörigen, wie er erfuhr, auf der Durchreise gar
nicht mehr gewesen waren. Ihre Ausweisung hatte alles verändert. Die für den
Arzt und seine Familie reservierten Räume waren von anderen Leuten bewohnt, und
von dem Familienbesitz war nichts mehr vorhanden. Man wich vor Shiwago zurück
wie vor einem gefährlichen Menschen.
Markel war
aufgestiegen und wohnte nicht mehr in Siwzew Wrashek. Er war jetzt Verwalter im
Mehlstädtchen, wo ihm und seiner Familie eine Dienstwohnung zustand. Er zog es
jedoch vor, in der alten Hausmeisterwohnung mit dem Erdfußboden zu bleiben, da
sie fließendes Wasser und einen gewaltigen russischen Ofen hatte, der alle
Räume beheizte. In den Gebäuden des Städtchens platzten im Winter die
Wasserleitungen und Heizungsrohre, nur in der Hausmeisterwohnung war es warm,
und die Leitungen froren nicht ein.
Zu dieser
Zeit kam es zwischen dem Arzt und Wassja zur Entfremdung. Wassja nahm eine
ungewöhnliche Entwicklung. Er redete und dachte ganz anders als in der Zeit,
als er noch ein barfüßiger und langhaariger Junge in Weretenniki an der Pelga
war. Die Durchschaubarkeit und Beweiskraft der von der Revolution verkündeten
Wahrheiten hatte für ihn eine große Anziehungskraft. Die nicht immer
verständliche, bildhafte Redeweise Shiwagos empfand er als die Stimme der
behördlich verurteilten Unwahrheit, die sich ihrer Schwäche bewußt war und daher
so ausweichend sprach.
Der Arzt
suchte die verschiedensten Behörden auf. Er bemühte sich um die politische
Rehabilitierung seiner Familie und ihre Rückkehr in die Heimat sowie um einen
Auslandspaß für sich, mit der Genehmigung, nach Paris auszureisen, um seine
Frau und die Kinder heimzuholen.
Wassja
wunderte sich, wie kühl und lasch die Bemühungen des Arztes waren. Gar
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