Boris Pasternak
Wenn das friert, wirst
du kaum kommen, um das Eis abzuschlagen. Und mach die Tür richtig zu, du
Schlafmütze, es kommt doch kalt rein. Ja, ich hab den Schwägern gesagt, wer du
bist, sie glauben es nicht. Was du für Geld gekostet hast! Du hast studiert und
studiert, und was nützt es?«
Als
Shiwago das fünfte oder sechste Mal kam, runzelte Markel die Stirn.
»Na,
einmal noch, dann ist Schluß. Mal muß es genug sein, mein Lieber. Hier, Marina,
unsere Jüngste, die verteidigt dich, sonst würd ich die Tür vor dir
verschließen, und wenn du noch so vornehm bist. Kennst du Marina noch? Da, die
kleine Schwarze am Tischende. Nanu, sie wird ja ganz rot! Kränken Sie ihn
nicht, Papa, hat sie gesagt. Dabei tu ich dir doch gar nichts. Marina ist
Telegrafistin auf der Hauptpost, sie kann auch ausländisch. Er ist
unglücklich, hat sie gesagt. Sie würde für dich durchs Feuer gehen, so sehr
tust du ihr leid. Kann ich was dafür, daß nichts aus dir geworden ist? Du
hättest eben nicht sollen nach Sibirien abhauen und das Haus in so gefährlicher
Zeit verlassen. Ihr seid selber schuld. Wir hier, wir haben die Hungerzeit und
die Blockade der Weißen durchgestanden und uns nicht weggerührt, und wir
haben's überlebt. Du bist selber schuld. Deine Tonja hast du nicht behütet, die
treibt sich jetzt im Ausland herum. Aber was geht's mich an? Deine Sache. Sei
mir nicht böse, bloß möchte ich doch wissen, wo schleppst du diese Wassermassen
hin? Willst du den Hof in eine Eisbahn verwandeln? Ach, wie soll ich dir böse
sein, du Hühnersohn.«
Wieder wurde
am Tisch schallend gelacht. Marina sah die anderen ärgerlich an, errötete und
sagte tadelnd etwas zu ihnen. Shiwago hörte ihre Stimme und war verblüfft,
erkannte aber noch nicht, wo deren Geheimnis lag.
»Ich habe
viel zu waschen, Markel. Ich muß aufräumen. Die Fußböden wischen. Auch Wäsche
waschen.«
Die am
Tisch wunderten sich.
»Schämst
du dich nicht, so etwas zu sagen oder gar zu tun, das ist doch hier keine
chinesische Wäscherei, so was!«
»Juri
Andrejewitsch, wenn Sie erlauben, schicke ich Ihnen meine Tochter. Sie kommt zu
Ihnen und wäscht. Wenn was kaputt ist, kann sie es in Ordnung bringen. Hab
keine Angst vor ihm, Töchterchen. Du siehst ja, er ist anständig, nicht so wie
andere. Keiner Fliege tut er was zuleide.«
»Nein, ich
bitte Sie, Agafja Tichonowna, nicht nötig. Das lasse ich niemals zu, daß sich
Marina meinetwegen schmutzig macht. Wieso sollte sie meine Putzfrau sein? Ich
komme schon zurecht.«
»Sie
können sich schmutzig machen und ich nicht? Seien Sie doch nicht so stur, Juri
Andrejewitsch. Warum wollen Sie nicht? Und wenn ich zu Ihnen komme, schmeißen
Sie mich dann raus?«
Marina
hätte Sängerin werden können. Sie besaß eine wohlklingende Stimme von großer
Höhe und Kraft. Obwohl sie nicht laut sprach, klang ihre Stimme stärker, als
das Gespräch es erforderte, und war nicht mit ihr eins, sondern schien
losgelöst, als tönte sie aus dem Nebenzimmer. Diese Stimme war ihr Schirm, ihr
Schutzengel. Niemand würde eine Frau mit solch einer Stimme kränken oder
betrüben wollen. Mit diesem sonntäglichen Wasserholen begann die Freundschaft
zwischen dem Arzt und Marina. Sie besuchte ihn häufig und half ihm im
Haushalt. Eines Abends blieb sie bei ihm und kehrte nicht mehr in die
Hausmeisterwohnung zurück. So wurde sie, ohne Standesamt, Shiwagos dritte
Frau, während er von der ersten noch nicht geschieden war. Sie bekamen Kinder.
Vater und Mutter Stschapow nannten Marina nicht ohne Stolz Frau Doktor. Markel
murrte darüber, daß Shiwago seine Tochter nicht offiziell heiratete. »Bist du
verrückt?« widersprach seine Frau. »Tonja lebt doch noch! Willst du eine
Doppelehe?« - »Selber verrückt«, antwortete Markel. »Wozu auf Tonja Rücksicht
nehmen? Die gibt's doch eigentlich gar nicht mehr. Für die tritt kein Gesetz
mehr ein.«
Shiwago
sagte manchmal im Scherz, ihr Zusammensein sei ein Roman in zwanzig Eimern, so
wie es Romane in zwanzig Kapiteln oder zwanzig Briefen gebe.
Marina sah
ihm die Absonderlichkeiten nach, die sich zu dieser Zeit bei ihm
herausbildeten, die Grillen eines heruntergekommenen Menschen, der um seinen
Niedergang wußte, auch seinen Schmutz und seine Unordnung. Sie duldete sein
Genörgel, seine Schärfe, seine Reizbarkeit.
Ihre
Aufopferung ging noch weiter. Als sie durch seine Schuld in Armut gerieten, gab
Marina, um ihn nicht im Stich zu lassen, zeitweilig ihre Arbeit auf, wo sie
sehr geschätzt wurde
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