Boris Pasternak
einer Stadt, auf der Straße.«
»Ist es
die Möglichkeit! Tante Polja?«
»Was hast
du denn, Wassja? Warum schüttelst du mir die Hände wie ein Verrückter? Paß auf,
daß du sie mir nicht abreißt. Du bist ja knallrot wie ein schönes Mädchen.«
»Wie geht
es ihr dort? Erzählen Sie rasch.«
»Als ich
sie sah, war sie lebendig und gesund. Sie hat von euch erzählt. Daß sie bei
euch gewohnt hat oder zu Besuch war, ich kann mich erinnern. Vielleicht irre
ich mich auch.«
»Nein,
nein! Sie war ja bei uns! Meine Mutter hat sie liebgehabt wie eine Schwester.
Sie war so still. Und fleißig. Machte Handarbeiten. Solange sie bei uns gewohnt
hat, ist es uns gut gegangen. Man hat sie rausgeekelt aus Weretenniki, hat ihr
mit bösem Tratsch keine Ruhe gelassen.
Wir hatten
im Dorf einen Kerl, Charlam Gniloi. Der hat sich an Polja rangemacht. So ein
Verleumder ohne Nase. Sie hat ihn gar nicht angeguckt. Da hatte er einen Rochus
auf mich deswegen. Tante Polja und mir hat er Übles nachgeredet. Na, da ist sie
weggefahren. Schlimm hat er ihr zugesetzt. Und dann ging's los.
Nicht weit
von hier hat sich ein furchtbarer Mord abgespielt. In der Nähe von Buiskoje
hat eine einsame Witwe gelebt, in einem Gehöft dicht am Wald. Männerschuhe mit
Schlaufen und Gummisohlen hat sie getragen. Rund um das Gehöft lief ein böser
Hund an einem Draht, der hieß Gorlan. Mit der Wirtschaft und mit dem Land ist
sie selber fertig geworden, ohne Hilfe. Na ja, auf einmal wurde es Winter, als
noch niemand daran dachte. Schon früh fiel Schnee. Die Witwe hatte ihre
Kartoffeln noch nicht aus der Erde. Da kam sie nach Weretenniki und bat um Hilfe.
Ich geb euch einen Anteil oder zahle Geld, hat sie gesagt.
Da hab ich
ihr angeboten, Kartoffeln zu buddeln. Wie ich zu ihr auf den Hof kam, war
Charlam schon da. Er hatte sich schon vor mir bei ihr gemeldet. Davon hat sie
mir nichts gesagt. Na, deswegen braucht man sich nicht gleich zu schlagen. Wir
haben uns gemeinsam an die Arbeit gemacht. Beim schlimmsten Unwetter haben wir
Kartoffeln gebuddelt. Regen, Schnee, Dreck, Schlamm. Wir haben gebuddelt und
gebuddelt, Kartoffelkraut verbrannt, mit dem warmen Rauch die Kartoffeln
getrocknet. Wie wir fertig waren, hat sie ehrlich mit uns abgerechnet.
Charlam, den hat sie weggeschickt, und mir hat sie zugeplinkert, daß sie noch
was von mir will, ich soll später wiederkommen oder gleich bleiben.
Ich bin
also noch einmal zu ihr hin. Da hat sie zu mir gesagt, sie will nicht, daß ihre
Überschüsse beschlagnahmt werden und die Kartoffeln in die staatliche
Verteilung kommen. Du bist ein guter Junge, hat sie gesagt, ich weiß, du
verrätst mich nicht. Du siehst ja, ich verheimliche nichts vor dir. Ich würde
ja selber die Grube schaufeln und sie verstecken, aber bei dem Wetter? Ich hab
zu spät gemerkt, daß Winter ist. Allein schaff ich das nicht. Schaufle mir die
Grube, du wirst es nicht bereuen. Wir trocknen die Kartoffeln und schütten sie
rein.
Da hab ich
ihr die Grube geschaufelt, ein Geheimversteck, wie es sich gehört, nach unten
zu breiter, wie ein Krug, mit einer schmalen Öffnung nach oben. Die Grube haben
wir auch mit Rauch getrocknet und angewärmt. Dabei war Schneesturm. Wir haben
die Kartoffeln nach allen Regeln der Kunst versteckt. Alles einwandfrei. Ich
hab natürlich keinem von der Grube erzählt. Keiner Menschenseele. Nicht mal
meiner Mutter oder den Schwestern. Gott behüte!
Also,
einen Monat später wurde das Gehöft ausgeraubt. Leute aus Buiskoje sind dort
vorbeigekommen und haben erzählt, Türen und Fenster stehen offen, alles
geplündert, die Witwe spurlos verschwunden, der Hund Gorlan hat sich von der
Kette losgerissen und ist weggelaufen.
Noch eine
Zeit verging. Wie es im Winter zum erstenmal taute, Neujahr war's, Silvester,
da hat es am Abend geregnet, den Schnee von den Hügeln gespült und die Erde
freigelegt. Auf einmal kommt Gorlan angelaufen und scharrt mit den Pfoten in
der Erde, die schon aufgetaut war, genau da, wo die Kartoffeln vergraben
lagen. Er hat gescharrt und die Erde zurückgeworfen, da gucken aus der Grube
die Füße der Witwe in den Schuhen mit Gummisohle. Schrecklich!
In
Weretenniki hat die Witwe allen leid getan, und alle haben ihrer gedacht. Auf
Charlam hatte niemand einen Verdacht. Woher auch? War das denkbar? Wenn er's
war, wieso blieb er dann in Weretenniki und stolzierte durchs Dorf? Dann hätt
er doch müssen weglaufen von uns, so weit wie möglich.
Die Untat
in dem Waldgehöft freute die Kulaken und
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