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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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und wo man sie nach solchen Zwangspausen gern wieder
aufnahm. Sie fügte sich einem Einfall Shiwagos und ging mit ihm auf den Höfen
Geld verdienen. Gemeinsam sägten sie für die Mieter der Häuser Brennholz. Einige
der Mieter, vornehmlich in der NOP reich gewordene Schieber, aber auch Leute
der Wissenschaft und Kunst, die der Regierung nahestanden, begannen sich
einzurichten und zu möblieren. Eines Tages brachten Marina und Shiwago einen
Brennholzvorrat in das Arbeitszimmer eines Mieters, dabei traten sie mit ihren
Filzstiefeln behutsam auf die Teppiche, um nicht von draußen Sägespäne
einzuschleppen. Der Mann war beleidigend in seine Lektüre vertieft und würdigte
Säger und Sägerin keines Blicks. Mit ihnen verhandelte die Hausfrau, sie zahlte
ihnen auch den Lohn.
    Was mag
diesen Halunken so fesseln? dachte Shiwago neugierig. Er schmiert ja so wütend
mit dem Bleistift darin herum! Während er mit dem Brennholz um den Schreibtisch
ging, warf er einen Blick über die Schulter des Lesers. Es war ein Büchlein von
Juri Shiwago, das Wassja in seiner Anfangszeit an der Kunsthochschule
herausgegeben hatte.
    Marina und
Doktor Shiwago wohnten in der Spiridonowka, und Mischa Gordon hatte sein Zimmer
nebenan in der Malaja Bronnaja. Marina und der Arzt hatten zwei Mädchen, Kapka
und Klaschka. Kapka war bald sieben, Klaschka erst ein halbes Jahr alt.
    Zu Beginn
des Sommers neunundzwanzig herrschte große Hitze. Wenn man einander besuchen
ging, legte man den Weg durch die wenigen Straßen ohne Hut und Jackett zurück.
    Gordons
Zimmer war sonderbar beschaffen. Im Hause hatte einst ein Modeschneider seine
Werkstatt gehabt, die aus Unter- und Obergeschoß bestand. Beide zusammen hatten
zur Straße hin eine durchgehende Schaufensterscheibe, die in Goldbuchstaben
den Namen und Beruf des Schneiders angab. Im Innern führte eine Wendeltreppe
aus dem unteren ins obere Geschoß. Jetzt waren es drei Geschosse.
    Durch den
Einzug von Zwischenböden war in der Werkstatt ein zusätzliches Geschoß
entstanden, das ein sonderbares Fenster hatte. Es war einen Meter hoch, befand
sich in Höhe des Fußbodens und zeigte noch die Reste der Goldbuchstaben.
Zwischen diesen sah man von draußen die Beine der Menschen im Zimmer bis zu den
Knien. Hier wohnte Gordon. Bei ihm saßen Shiwago, Dudorow und Marina mit den
Kindern. Anders als die Erwachsenen paßten die Kinder ganz in den Fensterrahmen.
Marina und die Mädchen gingen vorzeitig. Die drei Männer blieben allein.
    Sie
führten eine sommerliche, träge, gelassene Unterhaltung, wie sie üblich ist
zwischen Schulkameraden, deren Freundschaftsjahre nicht mehr zu zählen sind.
Wie verhalten sich solche Leute?
    Der eine
hat einen hinreichenden Wortschatz, der ihn zufriedenstellt. Er spricht und
denkt natürlich und zusammenhängend. In dieser Lage war Shiwago.
    Seinen
Freunden fehlte es an den notwendigen Ausdrücken. Sie waren nicht redegewandt.
Um ihr armseliges Vokabular aufzubessern, gingen sie durchs Zimmer, während
sie sprachen, zogen an der Papirossa, fuchtelten mit den Händen und
wiederholten ihre Sätze (»Mein Lieber, das ist unredlich; genau, unredlich;
jaja, unredlich«).
    Sie waren
sich nicht bewußt, daß solch dramatisches Getue im Umgang miteinander
keineswegs Temperament und Charaktergröße bedeutete, sondern im Gegenteil Unvollkommenheit
und Ausdrucksarmut.
    Gordon und
Dudorow gehörten zu einem guten Professorenkreis. Sie verbrachten ihr Leben
inmitten guter Bücher, guter Denker, guter Komponisten, guter und nur guter
Musik und wußten nicht, daß mittelmäßiger Geschmack ein größeres Unglück ist
als Geschmacklosigkeit.
    Gordon und
Dudorow wußten nicht, daß selbst die Vorwürfe, mit denen sie Shiwago
überschütteten, nicht der Freundestreue entsprangen und dem Wunsch, auf ihn einzuwirken,
sondern lediglich ihrer Unfähigkeit, frei zu denken und ein Gespräch nach
eigenem Willen zu führen. Der dahinrollende Wagen des Gesprächs trug sie in
eine Richtung, die sie gar nicht gewollt hatten. Sie vermochten ihn nicht zu
wenden und mußten letzten Endes gegen ein Hindernis prallen. So stießen sie mit
ihren Predigten und Belehrungen in voller Fahrt gegen Juri Shiwago.
    Die
Triebfedern ihres Pathos, die Unbeständigkeit ihrer Teilnahme, der Mechanismus
ihrer Äußerungen waren ihm sonnenklar. Aber er konnte ihnen ja nicht gut sagen:
Liebe Freunde, wie hoffnungslos mittelmäßig seid ihr doch mitsamt dem Kreis,
den ihr vertretet, mitsamt dem Glanz und der Kunst eurer

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