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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Denkpaläste und Ideenhäuser,
wo er früher gearbeitet hatte, und befragten alle seine alten Bekannten, von
denen sie irgendwie wußten und deren Adresse sie ausfindig machten. Die
Nachforschungen blieben ohne Ergebnis.
    Zur Miliz
gingen sie nicht, um die Behörden nicht an einen Mann zu erinnern, der zwar
gemeldet und nicht vorbestraft, doch nach derzeitigen Begriffen nicht gerade
ein Vorbild war. Die Miliz sollte nur im äußersten Falle eingeschaltet werden.
    Am dritten
Tag bekamen Marina, Gordon und Dudorow zu verschiedenen Stunden einen Brief von
Shiwago. Darin bedauerte er die Sorgen und Ängste, die er ihnen bereitete. Er
bat sie, ihm zu verzeihen und sich zu beruhigen, und beschwor sie bei allem,
was ihnen heilig war, die Suche nach ihm einzustellen, da sie ohnehin zu nichts
führen könne.
    Er teilte
ihnen mit, daß er mit dem Ziel der schleunigen und vollkommenen Umgestaltung
seines Schicksals einige Zeit in Einsamkeit verbringen wolle, um sich konzentriert
seinen Angelegenheiten zu widmen, und sobald er in seinem neuen Wirkungskreis
ein wenig Fuß gefaßt und sich überzeugt habe, daß es nach dem vollzogenen
Umschwung keine Rückkehr zum Alten geben werde, wolle er aus seiner geheimen
Zuflucht zu Marina und den Kindern zurückkehren.
    Gordon
kündigte er in seinem Brief an, er werde ihm für Marina Geld überweisen. Er bat
ihn, eine Kinderfrau zu besorgen, um Marina zu entlasten, damit sie zu ihrer Arbeit
zurückkehren könne. Er wolle ihr das Geld nicht direkt schicken, um sie nicht
in Gefahr zu bringen, bestohlen zu werden.
    Bald kam
das Geld, ein Betrag, der die Möglichkeiten des Arztes und seiner Freunde
überstieg. Eine Kinderfrau wurde eingestellt. Marina kehrte zurück ins
Telegrafenamt. Sie konnte sich lange nicht beruhigen, aber da sie sich an die
früheren Absonderlichkeiten Shiwagos gewöhnt hatte, fand sie sich schließlich
auch mit diesem Streich ab. Trotz der Bitten und Warnungen Shiwagos setzten die
Freunde und Marina die Suche fort, doch sie mußten sich von der Richtigkeit
seiner Vorhersage überzeugen. Sie fanden ihn nicht.
     
    Dabei
lebte er nur wenige Schritte von ihnen entfernt, direkt vor ihrer Nase und im
innersten Kreis ihres Suchens.
    Als er am
Tag seines Verschwindens vor Anbruch der Dämmerung aus Gordons Zimmer in die
Malaja Bronnaja trat, um nach Hause in die Spiridonowka zu gehen, hatte er noch
keine hundert Schritt zurückgelegt, da kam ihm sein Halbbruder Jewgraf Shiwago
entgegen. Der Arzt hatte ihn mehr als drei Jahre nicht gesehen und nichts von
ihm gehört. Jewgraf erzählte ihm, er sei zufällig und noch gar nicht lange in
Moskau. Wie immer war er gleichsam vom Himmel gefallen, und er beantwortete
alle Fragen nur mit schweigendem Lächeln und mit Scherzen. Dafür vermied er
jeden Alltagskleinkram, erfuhr mit wenigen gezielten Fragen von den Problemen
und Kümmernissen Doktor Shiwagos und entwarf gleich hier in der schmalen,
krummen Gasse, im Gedränge der in beiden Richtungen eilenden Passanten einen
praktischen Plan, wie er dem Bruder helfen und ihn retten konnte. Shiwagos
Verschwinden und sein Leben im Versteck waren Jewgrafs Idee, sein Werk.
    Er mietete
dem Arzt ein Zimmer in der Gasse, die damals noch den Namen Kamergerski trug,
gleich neben dem Künstlertheater. Er versah ihn mit Geld und bemühte sich, ihm
eine gute Stelle in einem Krankenhaus zu verschaffen, die auch Möglichkeiten
für wissenschaftliche Arbeit bot. In allen Angelegenheiten des täglichen Lebens
stand er dem Bruder hilfreich zur Seite. Zu guter Letzt versprach er ihm, daß
die unsichere Situation seiner Familie in Paris so oder anders bald ein Ende
haben werde. Juri könne zu den Seinen reisen, oder sie würden zu ihm
zurückkehren. Er versprach, sich dieser Dinge persönlich anzunehmen und alles
zu regeln. Die Unterstützung des Bruders beflügelte den Arzt. Das Geheimnis der
Macht seines Bruders blieb, wie schon früher, im dunkeln. Juri Shiwago
versuchte auch gar nicht, es aufzuklären.
     
    Das Zimmer
lag nach Süden. Seine zwei Fenster blickten auf die Dächer gegenüber dem
Theater, hinter denen hoch über dem Ochotny Rjad die Sommersonne stand, die die
Gasse im Schatten ließ.
    Das Zimmer
war für Shiwago mehr als ein Arbeitsraum. In dieser Zeit intensiven Tätigseins,
in der seine Pläne und Vorhaben in den Aufzeichnungen auf dem Schreibtisch
keinen Platz mehr fanden und die Bilder, die er ersann und vor sich sah, in der
Luft und in den Ecken blieben, so wie in einem Maleratelier viele

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