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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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sich selbst in der Manege zureitet.«
    »Ich muß
Dudorow in Schutz nehmen. Du bist einfach an menschliche Worte nicht mehr
gewöhnt. Sie erreichen dich nicht mehr.«
    »Schon
möglich, Mischa. Aber entschuldigt mich, laßt mich gehen. Das Atmen fallt mir
schwer. Bei Gott, ich übertreibe nicht.«
    »Warte.
Das sind doch nur Ausflüchte. Wir lassen dich nicht weg, bevor du uns eine
direkte, aufrichtige Antwort gegeben hast. Stimmst du uns zu, daß du dich
ändern, dich bessern mußt? Was willst du in dieser Hinsicht tun?
    Du mußt
deine Angelegenheiten mit Tonja, mit Marina in Ordnung bringen. Das sind
lebendige Wesen, Frauen, die imstande sind zu leiden und zu fühlen, und nicht
fruchtlose Ideen, die dir in willkürlichen Verbindungen durch den Kopf gehen.
Außerdem ist es eine Schande, daß ein Mensch wie du so sinnlos vor die Hunde
geht. Du mußt aufwachen aus Schlaf und Faulheit, du mußt Mut fassen, du mußt
dich ohne unangebrachten Hochmut, ja, ja, ohne diese unzulässige Anmaßung in
deiner Umwelt zurechtfinden, du mußt eine Arbeit aufnehmen, du mußt wieder
praktizieren.«
    »Schön,
ich will euch antworten. Ich denke in letzter Zeit oft darüber nach, darum kann
ich euch ohne Schamröte einiges versprechen. Ich denke, alles kommt in Ordnung.
Und zwar bald. Ihr werdet es sehen. Doch, wirklich. Alles wird besser. Ich
möchte unwahrscheinlich gern leben, und Leben bedeutet schließlich stets
vorwärtszustreben, zum Höheren, zur Vollkommenheit, und sie zu erreichen.
    Ich freue
mich, Gordon, daß du Marina verteidigst, so wie du früher Tonjas Verteidiger
warst. Aber ich habe ja keinen Zwist mit ihnen, ich führe keinen Krieg gegen
sie noch gegen sonst jemanden. Du hast mir anfangs vorgeworfen, daß sie mich
mit Sie anredet, während ich du sage, und mich beim Vor- und Vatersnamen nennt,
als ob mich das nicht auch bedrückt hätte. Aber die viel tiefere Disharmonie,
die dieser Widernatürlichkeit zugrunde lag, ist längst beseitigt, alles ist
klar, und die Gleichheit ist hergestellt.
    Ich kann
euch eine angenehme Neuigkeit wissen lassen. Ich bekomme wieder Post aus Paris.
Die Kinder sind herangewachsen und fühlen sich ganz frei unter ihren französischen
Gleichaltrigen. Saschenka steht vor dem Abschluß der dortigen Grundschule,
ecole primaire, Mascha kommt in die erste Klasse. Ich kenne ja meine Tochter
überhaupt nicht. Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, daß meine
Angehörigen trotz ihrer französischen Staatsbürgerschaft bald zurückkehren und
auf irgendeine Weise alles in Ordnung kommt.
    Vieles
spricht dafür, daß mein Schwiegervater und Tonja von Marina und den beiden
Mädchen wissen. Ich habe ihnen davon nichts geschrieben. Sie müssen es auf
Umwegen erfahren haben. Mein Schwiegervater ist natürlich in seinen
väterlichen Gefühlen verletzt, und es tut ihm um Tonjas willen weh. Daraus
erklärt sich die fast fünfjährige Pause in unserm Briefwechsel. Ich habe ja nach
meiner Rückkehr nach Moskau noch einige Zeit mit ihnen korrespondiert.
Plötzlich kam keine Antwort mehr. Alles hörte auf.
    In
jüngster Zeit bekomme ich wieder Briefe von dort. Von ihnen allen, sogar von
den Kindern. Warme, herzliche Briefe. Sie haben sich besänftigt. Vielleicht
hat sich bei Tonja etwas geändert, vielleicht hat sie einen neuen Gefährten,
geb's Gott. Ich weiß es nicht. Ich schreibe ihnen auch manchmal. Aber jetzt
kann ich wirklich nicht mehr. Ich gehe, sonst bekomme ich noch einen Erstickungsanfall.
Auf Wiedersehen.«
    Am
nächsten Tag kam Marina in aller Frühe zu Gordon gelaufen, mehr tot als
lebendig. Da sie niemanden hatte, den sie bei den Kindern lassen konnte, hatte
sie die Jüngere, Klaschka, in eine Decke gewickelt und drückte sie mit einer
Hand an die Brust, während sie mit der anderen die sich sträubende Kapka hinter
sich her zog.
    »Ist Jura
bei euch, Mischa?« fragte sie mit ganz fremder Stimme.
    »Hat er
denn nicht zu Hause übernachtet?«
    »Nein.«
    »Dann muß
er bei Dudorow sein.«
    »Da war ich
schon. Er hat Unterricht an der Universität. Aber die Nachbarn kennen Jura. Er
war nicht dort.«
    »Wo ist er
dann?«
    Marina
legte Klaschka aufs Sofa. Sie bekam einen hysterischen Anfall.
     
    Zwei Tage
lang wichen Gordon und Dudorow nicht von Marinas Seite. Abwechselnd wachten sie
bei ihr, denn sie wagten nicht, sie allein zu lassen. Zwischendurch fahndeten
sie nach dem Arzt. Sie suchten alle Orte auf, wo er sein konnte, waren im
Mehlstädtchen und in Siwzew Wrashek, gingen auch in die

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