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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ich kann nicht mehr! Herrgott! Ich heule
und heule! Denk doch nur! Wieder etwas in unserer Art, aus unserm Arsenal. Dein
Weggang, mein Ende. Wieder etwas Großes, Unabwendbares. Das Rätsel des Lebens,
das Rätsel des Todes, der Zauber des Genies, der Zauber der Entblößung, das ja,
das verstanden wir. Dagegen das kleine Alltagsgezänk in der Welt, die Umgestaltung
des Erdballs und so, nein danke, das war nichts für uns.
    Leb wohl,
mein Großer, mein Lieber, leb wohl, mein Stolz, leb wohl, mein tiefer,
reißender Fluß, wie liebte ich dein tagelanges Plätschern, wie gern warf ich
mich in deine kalten Wellen!
    Weißt du
noch, wie ich Abschied nahm von dir, damals dort im Schnee? Wie hast du mich
getäuscht! Wäre ich je ohne dich abgefahren? Oh, ich weiß, ich weiß, es hat
dich Überwindung gekostet, du hast es für mein vermeintliches Wohl getan.
Damals ist alles zerbrochen. Mein Gott, was habe ich durchgemacht, was habe ich
erdulden müssen! Aber du weißt nichts davon. Oh, was habe ich angerichtet,
Jura, was habe ich nur getan! Ich bin eine solche Verbrecherin, du machst dir
ja keinen Begriff! Aber ich kann nichts dafür. Ich habe damals drei Monate im
Krankenhaus gelegen, einen davon ohne Bewußtsein. Seitdem habe ich kein Leben
mehr, Jura. Meine Seele findet keinen Frieden vor Mitleid und Qual. Aber ich
verschweige dir die Hauptsache. Es will mir nicht über die Lippen, ich habe
nicht die Kraft. Wenn ich an diesen Punkt meines Lebens denke, sträuben sich
mir die Haare vor Entsetzen. Weißt du, ich kann mich nicht einmal verbürgen,
daß ich völlig normal bin. Aber du siehst, ich trinke nicht wie so viele,
diesen Weg gehe ich nicht, denn eine betrunkene Frau, das ist das Ende, das ist
unvorstellbar, stimmt es nicht?«
    Sie redete
weiter und schluchzte und quälte sich. Plötzlich hob sie verwundert den Kopf
und sah sich um. Das Zimmer war längst voller Menschen, voller Unruhe und
Bewegung. Sie stieg von der Bank, trat taumelnd weg von dem Sarg, fuhr mit der
Hand über die Augen und wrang gleichsam den noch nicht geweinten Tränenrest
heraus, um ihn mit der Hand zu Boden zu schleudern.
    Männer
traten zum Sarg und hoben ihn auf drei Handtüchern an. Das Hinaustragen
begann.
     
    Lara
verbrachte noch ein paar Tage in der Kamergerski-Gasse. Sie half bei der
Sichtung der Papiere, von der Jewgraf Shiwago gesprochen hatte, die jedoch
nicht zu Ende geführt wurde. Es kam auch zu der Unterredung, um die sie ihn
gebeten hatte. Er erfuhr Wichtiges von ihr.
    Eines
Tages verließ Lara das Haus und kehrte nicht zurück. Offensichtlich war sie auf
der Straße verhaftet worden und später irgendwo gestorben oder verschollen,
eine namenlose Nummer in einer verschwundenen Häftlingsliste in einem der
unzähligen gemeinschaftlichen oder nur für Frauen bestimmten
Konzentrationslager des Nordens.
     
    Sechzehnter Teil
     
    Epilog
     
    Im Sommer
neunzehnhundertdreiundvierzig, nach dem Frontdurchbruch am Kursker Bogen und
der Befreiung von Orjol, kehrten der kürzlich zum Unterleutnant beförderte
Gordon und Major Dudorow aufgetrennten Wegen aus Moskau zu ihrem gemeinsamen
Truppenteil zurück, der erste von einer Dienstreise, der zweite von einem dreitägigen
Urlaub.
    Auf dem
Rückweg trafen sie sich und übernachteten in Tscherni, einer Kleinstadt, die
zwar zerstört, doch nicht gänzlich vernichtet war wie die meisten besiedelten
Punkte dieser »Zone der Verwüstung«, die der zurückweichende Gegner vom Antlitz
der Erde getilgt hatte.
    Inmitten
der Ruinen, Bergen von Ziegelbruch und Kalkstaub fand sich eine unversehrte
Scheune, in der sich die beiden am Abend schlafen legten.
    Sie
konnten jedoch nicht schlafen, darum unterhielten sie sich die ganze Nacht.
Gegen drei in der Frühe, Dudorow war eingeschlafen, weckte ihn das
Herumwirtschaften Gordons. Mit ungeschickten Bewegungen, wie im Wasser,
untertauchend und sich herumdrehend in dem weichen Heu, packte er Leibwäsche zu
einem Bündel und rutschte dann ebenso tolpatschig von der Höhe des Heubergs
hinunter zur Scheunentür.
    »Wo willst
du hin mit deinem Zeug? Es ist noch früh.«
    »Ich geh
zum Fluß. Ein paar getragene Sachen waschen.«
    »Du bist
ja verrückt. Am Abend sind wir bei unserer Abteilung, dann gibt dir die Wäscheverwalterin
Tatjana neue Sachen. Was soll die Ungeduld.«
    »Ich mag
es nicht aufschieben. Ich bin ganz durchgeschwitzt und verdreckt. Der Morgen
wird heiß. Ich spül alles durch, wringe es aus, dann trocknet es schnell in der
Sonne. Ich bade und

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