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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ziehe mich um.«
    »Weißt du,
es ist peinlich. Schließlich bist du Offizier.«
    »Es ist
früh. Alle schlafen noch. Ich geh irgendwo hinters Gebüsch. Niemand wird mich
sehen. Und du schlaf und rede nicht. Du verscheuchst doch den Schlaf.«
    »Ich kann
sowieso nicht mehr einschlafen. Ich komme mit.«
    Vorbei an
den von der soeben aufgegangenen Sonne schon erhitzten weißen Steinruinen
gingen sie zum Fluß. Mitten auf den ehemaligen Straßen, auf der nackten Erde,
schliefen verschwitzte, schnarchende, rotgesichtige Menschen. Es waren zumeist
obdachlose Einwohner, Alte, Frauen und Kinder, dazwischen einzelne versprengte
Rotarmisten, die ihren Einheiten folgten. Vorsichtig, um nicht auf sie zu
treten, gingen Gordon und Dudorow zwischen ihnen hindurch.
    »Sprich
nicht so laut, sonst wecken wir die Stadt auf, und dann wird es nichts mit
meinem Waschen.«
    Halblaut
setzten sie ihr nächtliches Gespräch fort.
      »Was ist das für ein Fluß?«
    »Ich weiß
nicht. Hab nicht gefragt. Wahrscheinlich die Suscha.«
    »Nein,
nicht die Suscha. Ein anderer Fluß.«
    »Dann weiß
ich auch nicht.«
    »An der
Suscha hat sich doch das Ganze abgespielt. Mit Christina.«
    »Ja, aber
an einer anderen Stelle. Weiter unten. Die Kirche soll sie heiliggesprochen
haben.«
    »Da war
ein steinernes Gebäude, das >Pferdestall< genannt wurde. Es war
tatsächlich der Pferdestall eines Sowchos-Gestüts. Dieser Name ist historisch
geworden. Es war ein altertümliches Gebäude mit dicken Mauern.
    Die
Deutschen hatten es befestigt und zu einer uneinnehmbaren Festung gemacht. Von
dort aus konnten sie die ganze Umgebung unter Beschuß halten und unseren
Angriff verzögern. Der Pferdestall mußte genommen werden. Durch ein Wunder von
Tapferkeit und Schlauheit drang Christina Orlezowa in die deutsche Stellung
ein, sprengte den Pferdestall in die Luft, wurde ergriffen und aufgehängt.«
    »Warum
eigentlich Christina Orlezowa und nicht Dudorowa?«
    »Wir waren
ja noch nicht verheiratet. Im Sommer einundvierzig hatten wir einander
versprochen, gleich nach dem Krieg zu heiraten. Danach bin ich mit der Armee überall
herumgezogen. Meine Abteilung wurde immer wieder verlegt. Durch den häufigen
Ortswechsel habe ich sie aus den Augen verloren. Ich habe sie nie wiedergesehen.
Von ihrer tapferen Tat und ihrem Heldentod habe ich aus Zeitungen und
Regimentsbefehlen erfahren. Irgendwo hier soll ihr ein Denkmal gesetzt werden.
Ich habe gehört, der Bruder des verstorbenen Juri, General Shiwago, bereist
diese Gegend und sammelt Informationen über Christina.«
    »Entschuldige,
daß ich das Gespräch auf sie gebracht habe. Es muß schwer für dich sein.«
    »Darum
geht's nicht. Aber wir haben uns verplaudert. Ich will dich nicht stören. Zieh
dich aus, geh ins Wasser und erledige deine Wäsche. Ich mach mich am Ufer lang,
kaue an einem Grashalm, denke nach und halte vielleicht ein Nickerchen.«
    Bald
danach nahmen sie ihre Unterhaltung wieder auf.
    »Wo hast
du waschen gelernt?«
    »Die
Notwendigkeit bringt es einem bei. Wir hatten kein Glück. Wir gerieten in das
schlimmste aller Straflager. Nur wenige haben es überlebt. Es begann gleich
bei unserer Ankunft. Unsere Partie wurde aus dem Waggon geholt. Eine
verschneite Wüste. In weiter Ferne ein Wald. Wachposten, gesenkte Gewehre,
Schäferhunde. Zur gleichen Zeit wurden weitere Gruppen herangetrieben. Wir
mußten auf dem Feld als weites Vieleck antreten, den Rücken nach innen, um
einander nicht zu sehen. Dann kam der Befehl, wir sollten uns hinknien und
durften bei Strafe der Erschießung nicht nach rechts und links gucken. Nun
begann die endlose, stundenlang sich hinziehende, demütigende Prozedur des
Abzählens. Die ganze Zeit auf den Knien. Danach mußten wir aufstehen, andere
Partien wurden zu ihren Sammelstellen geführt, und bei uns hieß es: >Dies
ist euer Lager. Richtet euch ein, wie ihr könnt.< Ein Schneefeld unter freiem
Himmel, mittendrin ein Pfahl, auf dem Pfahl stand nur >Gulag g2 JN
go<.«
    »Nein, bei
uns war es leichter. Wir hatten Glück. Bei mir war es ja schon die zweite
Lagerhaft, die der ersten folgt. Außerdem hatte ich einen anderen Paragraphen
und andere Bedingungen. Nach meiner Freilassung haben sie mich rehabilitiert
wie beim erstenmal, und ich bekam wieder die Erlaubnis, an der Universität
Vorlesungen zu halten. Eingezogen wurde ich mit den vollen Rechten eines
Majors, nicht in die Strafkompanie wie du.«
    »Ja. Ein
Pfahl mit der Nummer >Gulag 92 JN go<, sonst nichts. In der
ersten Zeit

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