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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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haben wir bei strengem Frost mit bloßen Händen dünne Stämme
gebrochen, um Hütten zu bauen. Du wirst es nicht glauben, aber nach und nach
haben wir uns selber eingebaut. Wir haben unsere eigenen Gefängnisse errichtet,
drum herum Zäune, Karzer, Wachtürme — alles mit eigenen Händen. Danach mußten
wir Bäume fällen. Je acht Mann vor den Schlitten, so haben wir die Stämme
gezogen, bis zur Brust im Schnee. Daß Krieg ausgebrochen war, haben wir lange
nicht erfahren. Sie haben's uns nicht gesagt. Plötzlich ein Angebot. Wer will,
kann mit einer Strafkompanie an die Front, und wer die endlosen Kämpfe
überlebt, bekommt die Freiheit. Dann Angriff um Angriff, kilometerlange
Stacheldrahtverhaue, elektrisch geladen, Minen, Granatwerfer, monatelang
orkanartiges Feuer. Nicht umsonst wurden wir in den Strafkompanien
Todeskandidaten genannt. Die Leute wurden niedergemäht bis auf den letzten
Mann. Wie ich das überlebt habe? Du mußt dir mal vorstellen, diese blutige
Hölle war noch ein Glück, verglichen mit den Greueln des Konzentrationslagers,
nicht wegen der schweren Bedingungen, sondern aus anderen Gründen.«
    »Ja, mein
Lieber, du hast eine Menge durchgemacht.«
    »Da lernt
man nicht nur waschen, da lernt man noch ganz was anderes.«
    »Erstaunlich.
Nicht nur für dich als Lagersträfling, sondern für das ganze Leben der
dreißiger Jahre, selbst in Freiheit, selbst wenn es einem als
Universitätslehrer gar nicht schlecht ging, mit Büchern, Geld und Komfort,
selbst da kam der Krieg wie ein reinigender Sturm, wie ein frischer Windstoß,
wie ein Wehen der Erlösung.
    Ich meine,
die Kollektivierung war eine falsche, mißlungene Maßnahme, und sie wollten nur
nicht den Fehler zugeben. Um den Mißerfolg zu bemänteln, mußten sie den
Menschen mit allen Abschreckungsmitteln das Denken und Urteilen abgewöhnen und
sie zwingen, Nichtvorhandenes zu sehen und dem Augenschein Zuwiderlaufendes
zu behaupten. Daher die beispiellose Grausamkeit der Jeshow-Zeit, die
Verkündung der Verfassung, die gar nicht angewendet werden sollte, und die
Einführung von Wahlen, die überhaupt nicht auf dem Wahlprinzip beruhten.
    Als der
Krieg ausbrach, waren seine realen Entsetzlichkeiten, seine realen Gefahren
und seine realen Todesdrohungen geradezu ein Segen, verglichen mit der
unmenschlichen Herrschaft von Ausgedachtem, sie brachten Erleichterung, denn
sie schränkten die Zauberkraft des toten Buchstabens ein.
    Die
Menschen, nicht nur wie du in den Zwangsarbeitslagern, sondern alle, im
Hinterland und an der Front, atmeten freier, mit voller Brust, und warfen sich
berauscht, mit dem Gefühl wahren Glücks in den Schmelztiegel des tödlichen und
rettenden Kampfes.«
    »Der Krieg
ist ein besonderes Glied in der Kette der revolutionären Jahrzehnte. Hier endete
die Wirkung der Ursachen, die in der Natur des Umsturzes lagen. Nun äußerten
sich indirekte Ergebnisse, Früchte der Früchte, Folgen der Folgen. Die
Charakterfestigung, hervorgegangen aus dem Unglück, das Nichtverwöhntsein, das
Heldentum, die Bereitschaft zu großen, verzweifelten, niedagewesenen Taten,
das sind märchenhafte, frappierende Eigenschaften, und sie sind die sittliche
Blüte der Generation.
    Diese
Beobachtungen geben mir ein Glücksgefühl, trotz Christinas Märtyrertod, trotz
meiner Verwundungen, trotz unserer Verluste, trotz des hohen Blutzolls des
Krieges. Christinas Tod zu tragen hilft mir das Licht der Selbstopferung, das
um ihren Tod wie um das Leben jedes einzelnen von uns strahlt.
    In der
Zeit, in der du armer Kerl deine unzähligen Foltern ertragen mußtest, gelangte
ich in die Freiheit, und Christina Orlezowa bezog die historische Fakultät.
Ihre wissenschaftlichen Interessen führten sie unter meine Obhut. Mir war
dieses bemerkenswerte Mädchen schon früher aufgefallen, nach meiner ersten Haftzeit
im Konzentrationslager, als sie noch ein Kind war. Damals lebte Juri noch,
erinnerst du dich, ich habe euch von ihr erzählt. Und nun war sie auf einmal
unter meinen Hörerinnen.
    Damals war
es grade in Mode gekommen, daß die Studenten ihre Lehrer heruntermachten.
Christina Orlezowa war mit Feuereifer dabei. Gott allein mag wissen, weswegen
sie dermaßen wütend auf mich eindrosch. Ihre Angriffe waren so hartnäckig,
kriegerisch und ungerecht, daß die übrigen Studenten manchmal aufbegehrten und
für mich eintraten. Christina hatte großartigen Humor. Unter einem erfundenen
Namen, unter dem mich jedoch alle erkannten, verspottete sie mich nach
Herzenslust in

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