Boris Pasternak
der Wandzeitung. Auf einmal stellte sich rein zufällig heraus,
daß diese verstockte Feindschaft eine Form der Tarnung ihrer jungen Liebe war,
die sie seit langem für mich empfand. Das beruhte von Anfang an auf Gegenseitigkeit.
Wir hatten
einundvierzig, vor und nach Kriegsbeginn, einen wundervollen Sommer. Mehrere
junge Leute, Studenten und Studentinnen, darunter auch sie, wohnten in einer
Datschensiedlung bei Moskau, wo meine Abteilung eingesetzt war. Unsere
Freundschaft begann im Zuge der militärischen Ausbildung, der Aufstellung von
Landwehrabteilungen in den Vororten, Christinas Fallschirmtraining, der
nächtlichen Abwehr erster deutscher Luftangriffe von den Moskauer Dächern aus.
Ich habe dir schon erzählt, daß wir damals unsere Verlobung feierten und bald
danach durch meine dauernden Verlegungen getrennt wurden. Ich habe sie nie
wiedergesehen.
Als der
Krieg eine für uns günstige Wendung nahm und die Deutschen sich zu Tausenden
ergaben, wurde ich nach zweimaliger Verwundung und zweimaligem Lazarettaufenthalt
von der Flakartillerie zur siebenten Stabsabteilung versetzt, wo sie Leute mit
Fremdsprachenkenntnissen brauchten und wohin ich auch dich anforderte, nachdem
ich dich sozusagen vom Meeresgrund heraufgeholt hatte.«
»Tatjana,
die Wäscheverwalterin, hat Christina Orlezowa gut gekannt. Beide hatten sich an
der Front kennengelernt und angefreundet. Sie weiß über Christina viel zu
erzählen. Diese Tatjana hat eine Art, übers ganze Gesicht zu lächeln, wie Juri
sie hatte, ist dir das aufgefallen? Dann verschwindet ihre Stupsnasigkeit und
die Eckigkeit der Backenknochen, und ihr Gesicht wird lieb und anziehend. Dies
ist bei uns ein sehr verbreiteter Typ.«
»Ich weiß,
was du meinst. Vielleicht. Ich habe noch nicht darauf geachtet.«
»Was ist
das für ein barbarischer, hundsgemeiner Name - Tatjana Besotscheredewa.
Bestimmt ist das nicht ihr richtiger Name, sondern erfunden oder entstellt. Was
meinst du?«
»Sie hat
es doch erklärt. Sie war Besprisornik und kennt ihre Eltern nicht. Vermutlich
hat man sie irgendwo in den Tiefen Rußlands, wo die Sprache noch rein und unverfälscht
ist, Besotscheja* [* (russ.) Vaterlose] genannt. Auf der Straße wird man diesen
Beinamen nicht verstanden haben, und da es dort üblich ist, alles nach Gehör
aufzunehmen und zu verballhornen, wurde daraus Besotscheredewa, was dem
Verständnis der Straße näherkommt.«
Es war in
der dem Erdboden gleichgemachten Stadt Karatschow, kurz nachdem Gordon und
Dudorow in Tscherni übernachtet und ihr nächtliches Gespräch geführt hatten.
Die Freunde hatten ihre Armee eingeholt, sie waren auf rückwärtige Dienste
gestoßen, die den Hauptkräften folgten.
Seit mehr
als einem Monat herrschte ununterbrochen warmes, klares und freundliches
Herbstwetter. Die vom wolkenlosen blauen Himmel in Gluthitze gehüllte fruchtbare
Brynstschina, dieser gesegnete Landstrich zwischen Orjol und Brjansk, war von
der Sonne braungebrannt wie Kaffee oder Schokolade.
Durch die
Stadt schnitt sich schnurgerade die Hauptstraße, die in die Landstraße
überging. Auf der einen Seite lagen eingestürzte Häuser, von Wurfgranaten in
Schutthaufen verwandelt, und die entwurzelten, zersplitterten und angekohlten
Bäume der eingeebneten Obstgärten. Auf der anderen Seite zog sich Ödland hin,
vielleicht auch schon vor der Zerstörung der Stadt kaum bebaut, von Brand und
Detonationen verschont, weil es hier nichts zu vernichten gab.
Auf der
früher bebauten Seite stocherten obdachlos gewordene Einwohner in den Schutt-
und Aschebergen, um noch etwas von ihrer Habe zu bergen, und trugen Gefundenes
an einer Stelle zusammen. Andere schaufelten in aller Eile Erdgruben und
stachen Grassoden aus, um diese Behausungen damit zu decken.
Auf der
unbebauten Straßenseite standen weiße Zelte, dort drängten sich Lastautos und
Pferdewagen aller möglichen Dienste der zweiten Staffel - versprengte Feldlazarette,
verirrte, verängstigte und einander suchende Teile aller möglichen Fuhrparks,
Intendanturen und Proviantlager. Hierher kamen magere, erschöpfte Halbwüchsige
aus den Marschkompanien der Verstärkung, um sich zu entleeren, sich
hinzusetzen, sich zu stärken, sich auszuschlafen und weiter nach Westen zu
ziehen; sie trugen graue Käppis und schwere graue Militärmäntel und hatten
ausgemergelte, erdgraue, von der Dysenterie blutleere Gesichter.
Die zur
Hälfte gesprengte und in Schutt und Asche verwandelte Stadt brannte in der
Ferne weiter, und dann und
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