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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ebensolchen
Blicken.
    »Gehen wir ins Hotel, Mutter,
ehe es ganz dunkel ist. Hören Sie, Mutter? Ohne Aufschub, jetzt gleich.«
    »Filat, Filat«, riefen sie den
Hausmeister. »Filat, mein Bester, begleite uns ins >Tschernogorija<.«
    »Sehr wohl, gnädige Frau.«
    »Nimm die Bündel, und noch
was, Filat, hab hier ein Auge auf alles, solange die Geschichte dauert. Vergiß
auch nicht, Kirill Modestowitsch Körner und Wasser zu geben. Und alles schön
abschließen. Ja, und komm uns öfter mal besuchen.«
    »Sehr wohl, gnädige Frau.«
    »Danke, Filat. Christus
beschütze dich. Wir wollen uns noch einen Moment setzen zum Abschied, und dann
mit Gott.«
    Sie gingen auf die Straße und
erkannten, wie nach langer Krankheit, die Luft nicht wieder. Durch den
wunderbaren, frostklaren Raum rollten nach allen Seiten runde, wie gedrechselte
glatte Laute. Schmatzend, platschend, schlappend zerschlugen Schüsse und Salven
die Fernen in Stücke.
    Wie Filat sie auch vom
Gegenteil zu überzeugen versuchte, Lara und ihre Mutter glaubten, da würde mit
Platzpatronen geschossen.
    »Filat, du bist ein Dummkopf.
Sag doch selber, es müssen Platzpatronen sein, man sieht ja keinen schießen.
Was glaubst du denn, wer da schießt, der Heilige Geist? Natürlich sind es
Platzpatronen.«
    Auf einer Kreuzung wurden sie
von einer Wachpatrouille angehalten. Kosaken durchsuchten sie, betatschten sie
von unten bis oben, grienten. Ihre Mützen mit Riemen waren verwegen aufs Ohr
geschoben. Dadurch wirkten alle wie einäugig.
    Was für ein Glück! dachte
Lara. Sie würde Komarowski nicht sehen, solange sie von der übrigen Stadt
abgeschnitten waren! Mit Rücksicht auf die Mutter durfte sie nicht mit ihm
brechen. Sie konnte ja nicht gut sagen: Mutter, empfangen Sie ihn nicht mehr.
Dann käme alles heraus. Na und? Was hatte sie zu fürchten? Ach Gott, mochte
doch alles zugrunde gehen, wenn nur Schluß war. Herrgott, Herrgott, Herrgott!
Gleich würde sie vor Abscheu mitten auf der Straße in Ohnmacht fallen. Warum
dachte sie jetzt an dieses gräßliche Bild mit dem dicken Römer in dem ersten
Separee, wo alles angefangen hatte? »Frau oder Vase«. Aber ja doch. Natürlich.
Ein bekanntes Bild. »Frau oder Vase«. Damals war sie noch keine Frau und konnte
sich mit dieser Kostbarkeit nicht vergleichen. Das kam später. Der Tisch war so
üppig gedeckt!
    »Warum läufst du wie verrückt?
Ich komme nicht nach«, sagte ihre Mutter hinter ihr, weinend, schwer atmend,
sie schaffte es kaum.
    Lara ging schnell. Irgendeine
Kraft trug sie, als schritte sie durch die Luft, eine stolze, beseelende Kraft.
    Wie feurig die Schüsse
knallen, dachte sie. Selig sind die Geschmähten, selig sind die Betrogenen.
Gott schenke euch Gesundheit, ihr Schüsse, ihr denkt ja wie ich!
     
    Das Haus der Brüder Gromeko
befand sich an der Ecke einer Seitengasse des Siwzew Wrashek. Alexander und
Nikolai Gromeko waren Chemieprofessoren, der erste in der Petrowskaja-Akademie,
der zweite an der Universität. Nikolai war Junggeselle, Alexander verheiratet mit
Anna Iwanowna, geborene Krüger, der Tochter eines Fabrikanten,
Eisenhüttenbesitzers und Eigentümers stillgelegter Bergwerke in einem ihm
gehörenden riesigen Waldgebiet nahe Jurjatin im Ural.
    Das Haus war zweigeschossig.
Oben befanden sich die Schlafräume, das Klassenzimmer, Alexander Gromekos
Arbeitszimmer und Bibliothek, Anna Iwanownas Boudoir und die Zimmer von Tonja
und Jura. Unten waren die Empfangsräume. Durch die pistaziengrünen Gardinen,
den spiegelblanken Deckel des Konzertflügels, das Aquarium, die olivfarbenen
Möbel und die Zimmergewächse, die an Wasserpflanzen erinnerten, erweckte das
Erdgeschoß den Eindruck eines schläfrig wogenden grünen Meeresgrundes.
    Die Gromekos waren
hochgebildet, gastfreundlich und große Kenner und Liebhaber der Musik. Sie
gaben Gesellschaften und veranstalteten Kammermusikabende, auf denen
Klaviertrios, Violinsonaten und Streichquartette gespielt wurden.
    Im Januar
neunzehnhundertsechs, kurz nach der Abreise Nikolai Wedenjapins ins Ausland,
sollte im Hause wieder ein Kammerkonzert stattfinden. Im Programm standen eine
neue Violinsonate eines Schülers von Tanejew und ein Trio von Tschaikowski.
    Die Zurüstungen begannen schon
einen Tag vorher. Möbel wurden gerückt, um den Saal frei zu machen. In einer
Ecke schlug der Klavierstimmer immer wieder ein und denselben Ton an und ließ
die Hand in perlenden Arpeggios über die Tasten laufen. In der Küche wurde
Geflügel gerupft, Grünzeug

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