Boris Pasternak
Personals.
Alle naselang klingelte es, und in dem langen Glaskasten an der Wand fielen die
Nummern und zeigten an, wo und in welchem Zimmer ein Gast verrückt spielte,
selber nicht wußte, was er wollte, und den Etagenkellnern keine Ruhe gönnte.
Dieser dummen alten Madame
Guichard in der Vierundzwanzig wurden jetzt Brechmittel verabfolgt und
Flüssigkeiten eingeflößt, um den Magen und die Därme zu spülen. Das
Zimmermädchen Glascha hatte alle Hände voll zu tun, um den Fußboden
aufzuwischen, das schmutzige Wasser im Eimer hinauszutragen und sauberes zu
holen. Aber der heutige Sturm in der Kellnerstube hatte lange vor diesem
Durcheinander begonnen, als hieran noch nicht zu denken und Tereschka noch
nicht mit dem Kutscher ausgeschickt worden war, um den Arzt und den
unglückseligen Fiedler zu holen; auch Komarowski war noch nicht gekommen, und
im Korridor vor der Tür drängte sich noch nicht so viel überflüssiges Volk, das
dort hinderlich war.
Das heutige Gezänk in der
Kellnerstube rührte daher, daß am Tag in dem schmalen Gang zum Büfett jemand
mit einer ungeschickten Bewegung den Kellner Syssoi genau in dem Moment
angestoßen hatte, als er gebückt und schwungvoll mit einem vollen Tablett auf
der rechten erhobenen Hand durch die Tür in den Korridor hinaustrat. Das
Tablett krachte zu Boden, die Suppe lief aus, drei tiefe Teller und ein flacher
gingen in Scherben.
Syssoi behauptete, die
Geschirrwäscherin sei es gewesen, sie habe es zu verantworten, ihr müsse es vom
Lohn abgezogen werden. Jetzt war schon die elfte Nachtstunde, die Hälfte der
Leute hatte bald Arbeitsschluß, aber das zänkische Hin und Her dauerte fort.
»Ihm zittern die Hände und
Füße, weil er sich Tag und Nacht nicht von der Schnapsflasche trennt wie von
seiner Frau und nur immerzu die Nase eintunkt wie ein Enterich, und dann
behauptet er, jemand hat ihn angestoßen, das Geschirr zerschlagen und die
Fischsuppe vergossen! Wer hat dich denn angestoßen, du scheeläugiger Satan, du
böser Geist?
Wer war es, du Astrachaner
Pestbeule mit den schamlosen Augen?«
»Ich habe Ihnen schon mal
gesagt, Matrjona Stepanowna, mäßigen Sie sich in Ihren Ausdrücken.«
»Woher kommt denn der ganze
Lärm und das zerschlagene Geschirr? Irgend so eine feine Madam vom Damm, eine
Rührmichnichtan vom Boulevard schluckt Arsen, weil ihre Geschäfte so gut gehen,
diese Unschuld im Ruhestand. Wir wissen Bescheid im >Tschernogorija<, wir
haben genug solche Enten und Rüden gesehen.«
Mischa und Jura gingen im
Korridor vor der Zimmertür auf und ab. Alles verhielt sich anders, als
Alexander Gromeko angenommen hatte. Er hatte sich vorgestellt, der Cellist
hätte eine Tragödie, etwas Würdiges und Sauberes. Das hier war alles andere als
das, Schmutz, Skandal; für die Kinder absolut ungeeignet.
Die Jungen standen im Korridor
herum.
»Gehen Sie hinein zur Frau
Tante junge Herren«, sagte der Etagenkellner schon zum zweitenmal ungeduldig
flüsternd. »Gehen Sie hinein, es muß sein. Mit der Frau Tante ist alles in
Ordnung, keine Bange. Sie ist wieder ganz heil. Hier können Sie nicht stehen.
Hier hat es heute ein Unglück gegeben, teures Geschirr wurde zerschlagen. Sie
sehen, wir müssen laufen und bedienen, es ist zu eng. Gehen Sie hinein.« Die
Jungen fügten sich.
Im Zimmer war die brennende
Petroleumlampe aus dem Behälter, in dem sie über dem Eßtisch hing, herausgenommen
und hinter die Trennwand, die nach Wanzen roch, in die andere Hälfte des
Zimmers gebracht worden.
Dort befand sich die
Schlafnische, durch eine staubige Portiere vor neugierigen Blicken abgeschirmt.
In dem Durcheinander jetzt hatte man vergessen, sie zu schließen. Sie war über
den oberen Rand der Trennwand geworfen. Die Lampe stand im Alkoven auf einer
Bank und beleuchtete ihn von unten wie eine Bühnenrampe.
Sie hatte sich mit Jod
vergiftet und nicht mit Arsen, wie die Geschirrwäscherin irrtümlich gestichelt
hatte. Im Zimmer hing ein herber Geruch von jungen Walnüssen, deren grüne
Schale bei Berührungen schwarze Flecke bekommt.
Hinter der Trennwand wischte
ein Mädchen den Fußboden auf; laut weinend und den Kopf mit zusammengeklebten
Haarsträhnen über eine Schüssel haltend, lag im Bett eine von Wasser, Tränen
und Schweiß triefende halbnackte Frau. Die Jungen sahen gleich weg, so peinlich
und unschicklich war es, dorthin zu blicken. Aber Jura war beeindruckt von der
unbequemen, verkrampften Pose der Frau, die in ihren angespannten Bemühungen
nicht mehr so
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