Boris Pasternak
»Oi, ich kann nicht mehr, oi, ich kann
nicht mehr! Das ist ja wohl wirklich... Ha-ha-ha! Was für ein Recke! Ha-ha-ha!
Ein Jeruslan Lasarewitsch wie im Märchen!«
Um Pawluscha aus seiner
ehrenrührigen Bindung zu entlassen, sie mit den Wurzeln auszureißen und den
Qualen ein Ende zu bereiten, sagte ihm Lara, sie wolle sich endgültig von ihm
trennen, weil sie ihn nicht liebe, aber bei dieser Verzichterklärung schluchzte
sie dermaßen, daß er ihr nicht glauben konnte. Er traute ihr sämtliche
Todsünden zu, glaubte ihr kein Wort, war bereit, sie zu hassen und zu
verfluchen, liebte sie aber diabolisch und war eifersüchtig auf ihre Gedanken, auf
den Becher, aus dem sie trank, und auf das Kissen, auf dem sie lag. Um nicht
wahnsinnig zu werden, mußte er schnell und entschlossen handeln. Sie wollten so
bald wie möglich heiraten, noch vor Abschluß der Prüfungen. Die Trauung sollte
in Krasnaja Gorka stattfinden.
Auf Laras Bitte wurde die
Hochzeit noch einmal aufgeschoben.
Sie heirateten am
Pfingstmontag, als schon feststand, daß sie bei den Prüfungen gut abgeschnitten
hatten. Die Hochzeit wurde von Ljudmila Tschepurko ausgerichtet, der Mutter von
Laras Mitstudentin Tussi, die mit ihr das Examen bestanden hatte. Ljudmila
Tschepurko war eine schöne Frau mit hoher Brust und tiefer Stimme, eine gute
Sängerin und einfallsreiche Schwindlerin. Zu all den Vorzeichen und
Wahnbildern, an die das Volk glaubte, erfand sie eine Menge eigene.
Es war schrecklich heiß in der
Stadt, als Lara »unter die goldene Krone geführt« wurde, wie Frau Tschepurko
mit zigeunerhaftem Panin-Baß vor sich hin trällerte, während sie Lara
ankleidete. Die goldenen Kirchenkuppeln und der frische Sand auf den Gehwegen
waren von schreiendem Gelb. Das verstaubte Grün der Birkenbäumchen, die als
Pfingstschmuck abgehackt worden waren, hing traurig von den
Kirchenumfriedungen; die Blätter hatten sich eingerollt und sahen aus wie
versengt. Das Atmen fiel schwer, und vor den Augen flimmerte es im
Sonnenschein. Es schien, als würden ringsum Tausende von Hochzeiten gefeiert,
denn alle jungen Mädchen hatten das Haar gekräuselt und trugen helle Kleider
wie Bräute, während die jungen Männer sich zum Fest pomadisiert und knapp
sitzende schwarze Anzüge angezogen hatten. Alle waren erregt, und allen war
heiß.
Frau Lagodina, die Mutter
einer anderen Freundin von Lara, warf der Braut eine Handvoll Silbermünzen vor
die Füße, als sie den kleinen Teppich betrat, damit sie reich würde, und Frau
Tschepurko empfahl ihr zu dem gleichen Behufe, sich unter der Krone nicht mit
der bloßen Hand zu bekreuzigen, sondern sie mit dem Schleierrand oder mit der
Spitze vom Kleid zu bedecken, dann fügte sie hinzu, Lara solle die Kerze
hochhalten, dann würde sie im Haus zu bestimmen haben. Lara aber wollte ihre
Zukunft Pawel opfern, darum hielt sie die Kerze möglichst tief, doch
vergeblich, denn wie sie sich auch bemühte, ihre Kerze war stets höher als
Pawluschas.
Aus der Kirche ging es zu
einem kleinen Festmahl ins Atelier des Malers, das sie beide renoviert hatten.
Die Gäste riefen: »Bitter, nicht trinkbar«, und vom andern Ende kam laut die
Antwort: »Bitte süßen«, worauf die Jungvermählten sich verlegen lächelnd
küßten. Frau Tschepurko sang ihnen das Loblied von der Weintraube mit doppeltem
Refrain: »Gott geb euch Liebe und seinen Rat«, dann folgte das Lied: »Löse auf
dich, runder Zopf, breitet aus euch, braune Haare.«
Als alle gegangen und sie
allein geblieben waren, fühlte sich Pawluscha sehr unbehaglich in der
plötzlichen Stille. Im Hof vor Laras Fenster brannte eine Laterne auf einem
Mast, und wie sorgsam Lara auch die Vorhänge zuzog, ein schmaler Lichtstreifen
drang immer noch herein, wie durch ein zersägtes Brett. Dieser Lichtstreifen
ließ Pawluscha keine Ruhe, und er fühlte sich beobachtet. Mit Entsetzen stellte
er fest, daß die Laterne ihn mehr beschäftigte als Lara und seine Liebe zu ihr.
In dieser Nacht, lang wie eine
Ewigkeit, war der ehemalige Student Pawluscha Antipow, den seine Kommilitonen
»Stepanida« und »schönes Mädchen« nannten, auf dem Gipfel der Seligkeit und auf
dem Grunde der Verzweiflung. Seine argwöhnischen Vermutungen wechselten mit
Laras Geständnissen. Er fragte sie aus, und bei jeder Antwort sank ihm das
Herz, als flöge er in einen Abgrund. Seine über und über verwundete
Einbildungskraft hielt mit ihren ständig neuen Bekenntnissen nicht Schritt.
Sie redeten bis zum Morgen. In
Pawluscha
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