Boris Pasternak
wiederholte sich später
in ihrer Schüchternheit gegenüber Komarowski, dem Schlüssel von allem, was
geschah. Aber jetzt war er nicht wiederzuerkennen. Er verlangte nichts, er
brachte sich nicht in Erinnerung und ließ sich nicht einmal sehen. Und aus der
Ferne bot er ihr ständig in vornehmer Weise seine Hilfe an.
Ganz anders war es, als
Kologriwow sie besuchte. Sie freute sich sehr, ihn zu sehen, nicht weil er groß
und stattlich war, sondern weil er Talent und Lebendigkeit ausstrahlte und mit
seiner Person, seinem funkelnden Blick und seinem klugen Lachen das Zimmer
füllte, so daß es kleiner wirkte.
Händereibend saß er an ihrem
Bett. Wenn er nach Petersburg in den Ministerrat gerufen wurde, sprach er mit
ranghohen Greisen, als wären es freche Schuljungen. Vor ihm im Bett lag das
Mädchen, das noch vor kurzem zu seinem Hauswesen gehört hatte und fast wie eine
leibliche Tochter war, mit der er wie mit allen Angehörigen nur im Vorübergehen
und flüchtig Blicke und Bemerkungen wechselte (dies war ein besonderer Reiz
ihres knappen, vielsagenden Umgangs, beide Seiten wußten das). Er konnte nicht
ernst und gleichgültig mit Lara verkehren wie mit einer Erwachsenen. Er wußte
nicht, wie er mit ihr sprechen sollte, damit sie nicht gekränkt war, darum
sagte er auflachend zu ihr wie zu einem Kind: »Was haben Sie denn da
angestellt, meine Kleine? Was soll denn dieses Melodrama?« Er verstummte und
betrachtete die feuchten Flecke auf der Decke und den Tapeten. Dann schüttelte
er vorwurfsvoll den Kopf und fuhr fort: »In Düsseldorf wird bald eine
internationale Ausstellung eröffnet - Malerei, Plastik, Gartenbau. Ich will
hin. Feucht haben Sie's hier. Wollen Sie noch lange zwischen Himmel und Erde
schweben? Hier haben Sie ja weiß Gott nicht viel Platz. Diese Woitesse ist,
unter uns gesagt, ein ziemliches Aas. Ich kenne sie. Sie sollten umziehen. Sie
haben lange genug gelegen. Sie waren krank, aber jetzt ist Schluß. Sie müssen
aufstehen. Wechseln Sie die Unterkunft, beschäftigen Sie sich, studieren Sie zu
Ende. Ich kenne da einen Maler, der fährt für zwei Jahre nach Turkestan. Er hat
ein Atelier mit Zwischenwänden, eigentlich ist das eine richtige kleine
Wohnung. Ich glaube, er würde sie gern mitsamt dem Mobiliar in gute Hände geben.
Soll ich das für Sie arrangieren? Und noch etwas. Gestatten Sie mir, einmal
rein geschäftlich zu reden. Das möchte ich schon lange, das ist meine heilige
Pflicht ... seit Lipa... Es ist eine kleine Summe, eine Gratifikation für Lipas
Abschluß... Doch, ich bitte Sie sehr... Nein, sträuben Sie sich nicht... Nein,
entschuldigen Sie bitte.«
Trotz ihres Protestes, ihrer
Tränen und sogar eines kleinen Handgemenges nötigte er sie, einen Bankscheck
über zehntausend Rubel anzunehmen. Dann ging er.
Nach ihrer Genesung zog Lara
in die neue Heimstatt, die Kologriwow so gepriesen hatte. Sie lag in der Nähe
des Smolensker Marktes im ersten Stock eines zweigeschossigen alten Hauses. Im
Parterre befanden sich Warenlager. Im Hause wohnten Frachtkutscher. Der Hof war
gepflastert und ständig mit Haferkörnern und Heuhalmen bedeckt. Tauben
spazierten gurrend herum. Manchmal flatterte ein Schwarm vor Laras Fenster auf,
und durch die steinerne Abflußrinne im Hof huschten Scharen von Ratten.
Pawluscha hatte eine Menge
Kummer. Als Lara ernstlich krank war, wurde er nicht zu ihr gelassen. Was
sollte er davon halten? Sie hatte einen Mann erschießen wollen, der ihr nach
seinen Begriffen gleichgültig sein mußte, und wurde hinterher vom Opfer ihres
mißlungenen Anschlags in Obhut genommen. Und das alles nach ihrem denkwürdigen
Gespräch in der Weihnachtsnacht beim Kerzenschein! Ohne diesen Mann wäre Lara
inhaftiert und verurteilt worden. Er hatte die drohende Strafe von ihr
abgewendet. Dank ihm war ihr nichts geschehen, und sie studierte. Pawluscha
zermarterte sich und konnte es nicht begreifen.
Als es ihr besser ging, ließ
sie ihn zu sich kommen und sagte: »Ich bin schlecht. Du kennst mich nicht,
irgendwann erzähle ich dir alles. Es fällt mir schwer zu sprechen, du siehst,
ich muß immer wieder weinen, aber verlasse mich, vergiß mich. Ich bin deiner
nicht wert.«
Es folgten herzzerreißende
Szenen, eine unerträglicher als die andere. Frau Woit-Woitkowskaja - dies
geschah, als Lara noch bei ihr am Arbat wohnte - stürzte beim Anblick des verheulten
Pawluscha aus dem Korridor in ihre Räume, warf sich auf ein Sofa, lachte so,
daß sie Krämpfe bekam, und sagte dabei:
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