Boris Pasternak
Pferdehufe sie versetzte.
An der Wohnungstür wurde
geläutet. Lara spitzte die Ohren. Jemand stand vom Tisch auf, um zu öffnen.
Nadja! Lara stürzte ihr entgegen. Nadja kam direkt vom Zug, frisch, hinreißend
und gleichsam nach den Maiglöckchen von Dupljanka duftend. Die Freundinnen
standen da, außerstande, ein Wort hervorzubringen, heulten, hielten sich umarmt
und erwürgten einander beinahe.
Nadja überbrachte Lara die
Glückwünsche und guten Wünsche des ganzen Hauses und als Geschenk von ihren
Eltern eine Kostbarkeit. Ihrem Reisesack entnahm sie ein in Papier gewickeltes
Kästchen, wickelte es aus, ließ den Deckel aufschnappen und überreichte Lara
eine Halskette von seltener Schönheit.
Alle riefen staunend »Ah« und
»Oh«. Einer der Betrunkenen sagte ein wenig ernüchtert: »Roter Hyazinth. Ja,
ja, ein roter Hyazinth, was glaubt ihr denn. So wertvoll wie ein Diamant.«
Nadja jedoch erwiderte, es
seien gelbe Saphire.
Lara bat sie, sich neben sie
zu setzen, tat ihr Essen auf, legte die Kette neben ihr Gedeck und sah sie
unverwandt an. Die Steine auf dem violetten Kissen des Kästchens glühten und
schillerten und erinnerten bald an ein Häuflein zusammengelaufene Tropfen, bald
an eine kleine Weintraube.
Ein Teil der Gäste war
inzwischen nüchtern geworden. Sie tranken wieder ein Gläschen mit Nadja und
machten sie rasch betrunken.
Das Haus wurde zu einem Reich
des Schlafs. Die meisten Gäste wollten das junge Paar zum Bahnhof begleiten und
blieben. Die Hälfte schnarchte schon reihenweise in den Winkeln. Lara konnte
sich nicht erinnern, wie sie sich angezogen neben die schon schlafende Ira
Lagodina aufs Sofa gelegt hatte.
Sie erwachte von einem lauten
Gespräch in der Nähe. Es waren die Stimmen von Fremden, die von der Straße in
den Hof gekommen waren, um das Pferd zu holen. Sie öffnete die Augen und
wunderte sich. Dieser Pawluscha ist ja wirklich ein ruheloser Geist, da steht
er wie ein Werstpfahl im Zimmer und wühlt überall herum. In diesem Moment aber
wandte ihr der vermeintliche Pawluscha das Gesicht zu, und da sah sie, daß es
keineswegs Pawluscha war, sondern ein pockennarbiges Schreckgespenst mit einer
Narbe von der Schläfe bis zum Kinn. Sie begriff, daß ein Dieb, ein Räuber
eingedrungen war, und wollte schreien, brachte aber keinen Laut hervor. Plötzlich
fiel ihr die Halskette ein, und sie richtete sich verstohlen auf, um einen
Blick auf den Eßtisch zu werfen.
Da lag die Kette inmitten von
Brotresten und angebissenen Karamellen, der beschränkte Einbrecher hatte sie
unter den Speiseresten nicht bemerkt, sondern nur in der eingepackten Wäsche
gewühlt und Laras Ordnung durcheinandergebracht. Lara, beschwipst und halb im
Schlaf, unterschätzte die Situation, es tat ihr vor allem leid um ihre Arbeit.
Wütend wollte sie wieder schreien, doch wieder brachte sie den Mund nicht auf,
und die Zunge gehorchte ihr nicht. Da stieß sie der neben ihr schlafenden Ira
Lagodina kräftig das Knie in den Bauch, und als diese vor Schmerz gellend
aufschrie, konnte auch Lara schreien. Der Dieb ließ das Bündel gestohlener Sachen
fallen und stürmte aus dem Zimmer. Ein paar junge Männer, die mühsam zur
Besinnung kamen, nahmen die Verfolgung auf, aber der Räuber war schon
verschwunden.
Der Tumult und die Erörterung
des Vorfalls dienten allgemein als Signal zum Aufstehen. Laras Rausch war wie
weggeblasen. Unerbittlich gegenüber dem Flehen der Schläfer, sie noch ein wenig
liegenzulassen, brachte sie sie auf die Beine, setzte ihnen in Eile Kaffee vor
und jagte sie bis zur Verabschiedung auf dem Bahnhof in ihre Wohnungen.
Als die Gäste weg waren, hatte
sie alle Hände voll zu tun. Sie sauste von einem Gepäckstück zum nächsten,
stopfte Kopfkissen hinein, zog Riemen straff und bat Pawluscha und die Frau des
Hausmeisters, ihr nicht zu helfen, um sie nicht zu stören.
Alles lief wie vorgesehen. Die
Antipows waren pünktlich. Weich fuhr der Zug an, als wollte er die Bewegung der
Hüte nachahmen, die zum Abschied geschwenkt wurden. Als das Schwenken aufhörte
und von fern ein dreifacher Ruf herandrang (vermutlich »Hurra«), fuhr der Zug
schneller.
Seit drei Tagen war
scheußliches Wetter. Es war der zweite Kriegsherbst. Nach den Erfolgen des
ersten Jahres setzten Fehlschläge ein. Die achte Armee Brussilows in den
Karpaten stand bereit, von den Pässen hinabzuziehen und in Ungarn einzufallen,
statt dessen aber zog sie sich zurück, mitgerissen von dem allgemeinen Rückzug.
Wir räumten
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