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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Antipows Leben hatte es noch nie eine plötzlichere und
einschneidendere Veränderung gegeben als in dieser Nacht. Als er am Morgen
aufstand, war er ein neuer Mensch, und er wunderte sich beinahe, daß er noch
seinen alten Namen trug.
     
    Zehn Tage später
veranstalteten die Freunde in demselben Raum für Lara und Pawluscha eine
Abschiedsfeier. Beide hatten ihre Prüfungen mit Glanz bestanden, und beide
hatten ein Angebot aus einer Stadt im Ural, in die sie tags darauf reisen
wollten.
    Wieder wurde getrunken,
gesungen und gelärmt, aber diesmal feierte die Jugend unter sich, ohne die
Alten.
    Hinter der Trennwand, die die
Wohnwinkel von dem Atelier trennte, in dem die Gäste beisammen saßen, standen
ein großer Reisekorb und ein kleinerer mit Laras Sachen, daneben ein Koffer und
die Kiste mit dem Geschirr. In der Ecke lagen ein paar Säcke. Es waren viele
Sachen. Ein Teil davon sollte am nächsten Morgen bei der Bahn aufgegeben
werden. Es war schon fast alles gepackt, aber Kiste und Körbe waren offen und
noch nicht voll. Lara fiel von Zeit zu Zeit etwas ein, dann brachte sie den
vergessenen Gegenstand hinter die Trennwand, tat ihn in den Korb und glättete
Unebenheiten. Pawluscha war schon mit den Gästen im Hause, als Lara, die zur
Universitätskanzlei gefahren war, um ihren Matrikelauszug und sonstige Papiere
abzuholen, in Begleitung des Hausmeisters zurückkehrte; dieser hatte eine
Bastmatte und ein Bündel Stricke mit, um das Gepäck für morgen sicher zu
verschnüren. Danach schickte Lara ihn wieder weg, ging von Gast zu Gast,
begrüßte den einen mit Handschlag, den anderen mit Küssen und verschwand dann
hinter der Trennwand, um sich umzukleiden. Als sie wieder erschien, klatschten
alle Beifall, setzten sich hin, und nun begann eine Ausgelassenheit wie
kürzlich auf der Hochzeit. Die Unternehmungslustigsten schenkten ihren Nachbarn
Wodka ein, und viele Hände mit Gabeln streckten sich nach dem Tisch, um Brot
und allerlei Happen aufzuspießen. Reden wurden gehalten, Kehlen gespült und
Witze gerissen. Einige Gäste waren bald betrunken.
    »Ich bin todmüde«, sagte Lara,
die neben ihrem Mann saß. »Hast du alles erledigt, was du wolltest?«
    »Ja.«
    »Trotzdem fühle ich mich
großartig. Ich bin glücklich. Und du?«
    »Ich auch. Es geht mir gut.
Aber das ist eine lange Geschichte.«
    Für den Abend mit den jungen
Leuten war ausnahmsweise Komarowski eingeladen worden. Am Ende des Abends
wollte er sagen, nach der Abreise seiner jungen Freunde würde er sich
vereinsamt fühlen, und er werde Moskau als eine Wüste Sahara empfinden, doch
dabei packte ihn eine solche Rührung, daß er aufschluchzte und den vor Erregung
unterbrochenen Satz noch einmal sagen mußte. Er bat die Antipows um Erlaubnis,
ihnen zu schreiben und sie in Jurjatin, ihrem neuen Wohnort, besuchen zu
dürfen, wenn er die Trennung nicht mehr aushalten könne.
    »Das kommt nicht in Frage«,
sagte Lara laut und abweisend. »Und überhaupt, was soll das alles, Schreiben
und Sahara und so weiter. Ihren Besuch können Sie vergessen. Wenn Gott will,
werden Sie es auch ohne uns überleben, solch eine Rarität sind wir gar nicht,
stimmt's, Pawluscha? Für Ihre jungen Freunde findet sich bestimmt Ersatz.«
    Lara, die ganz vergessen
hatte, mit wem sie sprach und worüber, fiel wieder etwas ein, sie stand hastig
auf und ging in die Küche. Hier schraubte sie den Fleischwolf auseinander,
steckte die Teile in die Ecken der Geschirrkiste und stopfte Heubüschel nach.
Dabei hätte sie sich an der Kiste beinahe einen Splitter eingerissen.
    Bei dieser Beschäftigung
vergaß sie, daß sie Gäste hatte, da sie nichts von ihnen hörte, doch plötzlich
gab es eine besonders laute Lärmexplosion, und sie dachte, mit welchem Eifer
doch Betrunkene stets Betrunkene darstellen wollten, und das um so
tolpatschiger und dilettantischer, je betrunkener sie waren.
    In diesem Moment erregte ein
anderes Geräusch, das vom Hof durchs offene Fenster drang, ihre Aufmerksamkeit.
Sie zog die Gardine weg und blickte hinaus.
    Auf dem Hof bewegte sich mit
lahmenden Sprüngen ein Pferd, dessen Vorderbeine gefesselt waren. Es mußte
irrtümlich auf den Hof gelangt sein. Draußen war es schon ganz hell, doch bis
zum Sonnenaufgang blieb noch eine Weile. Die schlafende und wie ausgestorbene
Stadt versank in der graulila Kühle des frühen Morgens. Lara schloß die Augen.
Gott weiß, in was für eine dörfliche Einöde und reizvolle Landschaft dieses
besondere Trappeln der beschlagenen

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