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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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»Du wolltest immer so eilig weg, du hast es
beschrien. Ich kann nicht sagen, es wäre zu deinem Glück, denn was soll das für
ein Glück sein, wenn sie uns schon wieder bedrängen und schlagen? Der Weg nach
Osten ist frei, und von Westen wird gegen uns Druck gemacht. Es wurde
angeordnet, daß alle Sanitätseinrichtungen sich zurückziehen. Wir brechen
morgen oder übermorgen auf. Wohin, ist unbekannt. Die Wäsche von Mischa Gordon
ist natürlich nicht gewaschen, Karpenko. Immer wieder dieselbe Geschichte.
Gevatterin, Gevatterin, aber wenn du ihn genauer fragst, was für eine
Gevatterin das ist, weiß er's nicht, der Holzkopf.«
    Er hörte nicht, was der
Sanitäter, sein Bursche, zu seiner Rechtfertigung stammelte, und er achtete
nicht auf Gordon, der betrübt war, Shiwagos Wäsche tragen und in Shiwagos Hemd
abreisen zu müssen, sondern fuhr fort:
    »Ach, dieses Wanderleben,
dieses Herumziehen wie bei den Zigeunern. Als wir hier ankamen, hat mir alles
nicht gepaßt - der Ofen, die niedrige Decke, der Schlamm, die stickige Luft.
Heute kannst du mich umbringen, aber ich weiß nicht, wo wir vorher gelegen
haben. Mir kommt es vor, als hätte ich eine Ewigkeit hier gelebt und auf diesen
Ofenwinkel mit der Sonne auf den Kacheln geblickt und dem darüber hinweg
wandernden Schatten des Baums an der Straße.« Sie packten in aller Ruhe.
    In der Nacht wurden sie von
Lärm und Schreien, Schüssen und Füßetrappeln geweckt. Ein unheildrohender
Lichtschein lag auf dem Dorf. Schatten huschten an den Fenstern vorüber. Hinter
der Wand erwachten die Hausherren und bewegten sich.
    »Karpenko, laufe hinaus und
frage, was los ist«, sagte Shiwago.
    Bald wußten sie Bescheid.
Shiwago, der sich in aller Eile angezogen hatte, ging ins Lazarett, um die
Gerüchte zu prüfen, die sich als richtig erwiesen. Die Deutschen hatten an
diesem Frontabschnitt den Widerstand gebrochen. Die Verteidigungslinie bewegte
sich auf das Dorf zu und rückte immer näher. Das Dorf lag unter Beschuß. Das
Lazarett und die Verwaltungsstellen wurden eilig evakuiert, ohne auf den Befehl
zu warten. Alles sollte bis zum Morgen beendet sein.
    »Du fährst mit dem ersten
Transport, der Wagen geht gleich ab, aber ich habe gesagt, sie sollen auf dich
warten. Mach's gut. Ich komme noch mit und seh mir an, was für einen Platz du
bekommst.«
    Sie rannten zum andern Ende
des Dorfes, wo die Abteilung mit allem Notwendigen versehen wurde. Während sie
an den Häusern entlangliefen, bückten sie sich immer wieder und suchten Deckung
hinter Vorsprüngen. Die Straße entlang pfiffen und zwitscherten Kugeln. Von da,
wo die Wege zu den Feldern die Hauptstraße kreuzten, waren in der Luft die
Feuerschirme platzender Schrapnells zu sehen.
    »Und wie kommst du weg?«
fragte Gordon im Laufen.
    »Ich fahre später. Ich muß
noch einmal nach Hause, die Sachen holen. Ich fahre mit der zweiten Gruppe.«
    An der Dorfumfriedung
verabschiedeten sie sich. Die Fuhrwerke und der Wagen, die den Troß bildeten,
setzten sich in Bewegung, rammten einander, richteten sich allmählich aus.
Shiwago winkte dem abfahrenden Kameraden nach. Sie befanden sich im Lichtschein
eines brennenden Schuppens.
    Auf dem Rückweg suchte
Shiwago, der es eilig hatte, wieder die Deckung der Häuser. Als er nur noch
zwei Häuser von seiner Vortreppe entfernt war, warf ihn eine Detonationswelle
nieder, und eine Schrapnellkugel traf ihn. Blutüberströmt fiel er zu Boden und
verlor das Bewußtsein.
     
    Das evakuierte Lazarett lag
verloren in einer Kleinstadt der Westregion an der Eisenbahn, unweit des
Hauptquartiers. Ende Februar gab es ein paar warme Tage. In dem Krankenzimmer
für genesende Offiziere war auf Bitte Juri Shiwagos, der hier lag, das Fenster
bei seinem Bett geöffnet worden.
    Es war kurz vor Mittag. Die
Patienten vertrieben sich schlecht und recht die Zeit bis zu ihrer Entlassung.
Man hatte ihnen gesagt, daß heute eine neue Schwester zur Visite kommen würde.
Jussup Galiullin, der Shiwago gegenüberlag, blätterte in den Zeitungen »Retsch«
und »Russkoje slowo« und schimpfte über die weißen Stellen, eine Folge der
Zensur. Shiwago las die letzten Briefe von Tonja, die er mit der Feldpost alle
auf einmal bekommen hatte.
    Der Wind bewegte die
Briefseiten und die Zeitungsblätter. Leichte Schritte ertönten. Shiwago blickte
auf. Herein kam Lara.
    Shiwago und Galiullin
erkannten sie sogleich, ohne es voneinander zu wissen. Sie kannte keinen von
ihnen. Sie sagte: »Guten Tag. Warum ist das Fenster

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