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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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zumeist
ungepflasterten Straßen bedeckte.
    Das Städtchen war nicht groß.
Wo man sich auch befand, gleich um die nächste Ecke öffneten sich dem Blick die
finstere Steppe, der dunkle Himmel, die Weiten des Krieges, die Weiten der
Revolution.
    Shiwago schrieb seiner Frau:
    »Zerfall und Anarchie in der
Armee gehen weiter. Es werden Maßnahmen ergriffen, um die Disziplin und den
Kampfgeist der Soldaten zu heben. Ich habe die in der Nähe stationierten Truppen
besucht.
    Anstelle eines Postskriptums
teile ich Dir abschließend mit, was ich schon früher hätte tun können, daß ich
jetzt mit einer gewissen Antipowa zusammenarbeite, einer Krankenschwester aus
Moskau, die aus dem Ural stammt.
    Erinnerst Du Dich an die Weihnachtsfeier
in der schrecklichen Nacht, in der Deine Mutter starb? Ein junges Mädchen hat
auf den Staatsanwalt geschossen. Ich glaube, sie ist später verurteilt worden.
Ich weiß noch, daß ich Dir damals sagte, Mischa und ich hätten diese Studentin,
als sie noch Gymnasiastin war, in einem schäbigen Hotel gesehen, wohin wir mit
Deinem Vater gefahren waren, ich weiß nicht mehr, zu welchem Zweck. Es war eine
Nacht mit klirrendem Frost, und mir scheint jetzt, es war während des
bewaffneten Aufstands in Presnja. Dieses Mädchen ist Schwester Antipowa.
    Ich habe mehrfach Bemühungen
unternommen, nach Hause zu kommen. Aber das ist nicht so einfach. Was uns
zurückhält, sind nicht in erster Linie unsere Aufgaben, die könnten wir
unbeschadet anderen übergeben. Die Schwierigkeiten bestehen im Fahren. Es gehen
keine Züge, und wenn doch, sind sie so überfüllt, daß es unmöglich ist, einen
Platz zu ergattern.
    Aber so kann es natürlich
nicht endlos weitergehen, darum haben ein paar Leute, die geheilt, aus dem
Dienst entlassen und frei sind, darunter ich, Galiullin und Schwester Antipowa,
beschlossen, um jeden Preis in der nächsten Woche abzureisen und, um leichter
mitzukommen, an verschiedenen Tagen einzeln zu fahren.
    Ich kann also jederzeit bei
Euch hereinschneien. Im übrigen will ich zusehen, Dir ein Telegramm zu
schicken.«
    Aber noch vor seiner Abreise
erhielt Juri Shiwago einen Antwortbrief von seiner Frau. In diesem Brief, in
dem das Schluchzen den Satzbau behinderte und Tränen und Kleckse die Punkte
ersetzten, redete Tonja ihrem Mann zu, nicht nach Moskau zurückzukehren,
sondern dieser wunderbaren Schwester in den Ural zu folgen, die in Begleitung
solcher Vorzeichen und Umständeverknüpfungen durchs Leben schreite, daß es mit
ihrem, Tonjas, bescheidenen Lebensweg nicht zu vergleichen sei.
    »Um Saschenka und seine
Zukunft mach Dir keine Sorgen«, schrieb sie. »Du wirst Dich seinetwegen nicht
zu schämen haben. Ich verspreche Dir, ihn nach den Grundsätzen zu erziehen, die
Du als Kind in unserm Hause erlebt hast.«
    »Du bist wahnsinnig, Tonja«,
antwortete ihr Juri Shiwago in aller Eile. »Was sind das für Verdächtigungen!
Weißt Du denn nicht oder nicht gut genug, daß Du, der Gedanke an Dich und die
Treue zu Dir und unserm Zuhause mich vor dem Tod und allen Arten des Untergangs
gerettet haben in diesen zwei schrecklichen und vernichtenden Kriegsjahren?
Doch wozu darüber reden. Bald sehen wir uns, das frühere Leben fängt wieder an,
und alles klärt sich.
    Aber daß Du mir so antworten
konntest, erschreckt mich auf eine ganz andere Weise. Wenn ich Dir dazu Anlaß
gegeben habe, verhalte ich mich vielleicht wirklich zweideutig, und dann bin
ich schuldig vor dieser Frau, die ich womöglich in die Irre führe und bei der
ich mich entschuldigen muß. Ich werde es tun, sobald sie von ihrem Krankenbesuch
in den umliegenden Dörfern zurück ist. Die Semstwoämter, die es früher nur in
den Gouvernements und in den Kreisen gab, werden jetzt immer mehr auch in den
kleineren Verwaltungseinheiten, in den Landkreisen, eingeführt. Schwester
Antipowa ist hingefahren, um einer Bekannten zu helfen, die als Instrukteurin
für diese neu eingeführten gesetzgebenden Organe arbeitet.
    Es ist bemerkenswert, daß ich,
obwohl ich mit Schwester Antipowa im selben Haus wohne, bis heute nicht weiß,
wo ihr Zimmer ist, und mich nie dafür interessiert habe.«
     
    Von Meljusejew nahmen zwei
große Straßen ihren Ausgang, die eine nach Osten, die andere nach Westen. Die
eine war befestigt und führte durch einen Wald in das Städtchen Sybuschino mit
seinem Getreidehandel, das verwaltungsmäßig Meljusejew unterstellt war, es
jedoch in jeder Beziehung überrundet hatte. Die andere Straße war geschottert
und

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